Jugendliche in Not suchen Hilfe beim Notruf 147
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«Wir versuchen, aus jedem Kontakt etwas Konstruktives zu machen»

Kinder und Jugendliche wenden sich aus vielen Gründen an die Notrufnummer 147 von Pro Juventute: Zoff mit den Eltern, Schwierigkeiten in der Schule, Liebeskummer, Suizidgedanken. Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, ist für Abteilungsleiter Beratung Thomas Brunner das oberste Ziel.

Wer kennt die Nummer 147? Es ist die Notrufnummer der Stiftung Pro Juventute, welche sich seit mehr als hundert Jahren für Kinder und Jugendliche in der Schweiz einsetzt. «Wir werden oft mit Schwierigkeiten in gelebten Beziehungen konfrontiert, also mit den Eltern, Geschwistern, der Freundin, dem Chef», sagt Thomas Brunner, der bei Pro Juventute seit vier Jahren die Abteilung Beratung & Unterstützung leitet. Da kann es zum Beispiel sein, dass ein Mädchen anruft und weint, weil seine Eltern wieder einmal streiten. Die Beraterin fragt:

Nachdem sich die Anruferin beruhigt hat, gibt ihr die Beraterin folgende Botschaft auf den Weg: «Oft denken Kinder, sie seien schuld, wenn die Eltern streiten, vielleicht kennst du das auch. Und das möchte ich dir sagen: Kinder sind nie schuld daran!»

Wir werden oft mit Schwierigkeiten in gelebten Beziehungen konfrontiert, also mit den Eltern, Geschwistern, der Freundin, dem Chef.

Die Aufgabe von Beratung + Hilfe 147 ist, die Jugendlichen rund um die Uhr mit einer einmaligen Fachberatung zu befähigen, sich selbst weiterzuhelfen. Systemisch-lösungsorientierte Erstberatung nennt sich dieser Ansatz. Beraterinnen und Berater sind Fachpersonen aus Psychologie und Pädagogik, die zusätzlich viel von Gesprächsführung verstehen. Thomas Brunner selbst ist ausgebildeter Sozialpädagoge und Jugendarbeiter. «Wir versuchen, aus jedem Kontakt etwas Konstruktives zu machen», sagt er. Auch dann, wenn Jugendliche nur aus Jux anrufen, um die Berater zu testen. Oder wenn sie eine Dienstleistung erwarten, zum Beispiel, in ihrem Namen jemanden zu kontaktieren.

«In mir ist es dunkel und leer»

Gravierende Sorgen sind laut Thomas Brunner zum Beispiel Mobbing, persönliche Krisen – und Suizidgedanken. Ein Mädchen wandte sich per SMS mit folgenden Worten an 147: «In mir ist es dunkel und leer. Ich habe einfach keine Kraft mehr.» Der Berater lobte das Mädchen für seinen Schritt, sich Hilfe zu holen, und ermutigte es, seine Adresse anzugeben, um es mit Fachpersonen vor Ort in Kontakt bringen zu können. Ein 15-Jähriger schrieb voller Wut und Verzweiflung, er wolle in dieser Familie nicht mehr leben, «weil mein Vater eine Scheissmissgeburt ist». 147 antwortete: «Kannst du dir vorstellen, uns anzurufen? Das braucht vielleicht Mut. Doch wenn du über deine belastende Situation reden kannst, wird der innere Druck weniger.»

Ein Telefonat ist bei 147 die effizienteste und persönlichste Art, sich Hilfe zu holen.

Solche schriftlichen Beratungen enden oft mit dem Satz: «Wir sind rund um die Uhr für dich da.» Am meisten los im Beratungszentrum ist laut Thomas Brunner zwischen 19 und 22 Uhr und am schulfreien Mittwochnachmittag – dann, wenn die Jugendlichen sich unbemerkt bei 147 melden können. Am Ende des Tages sind es im Schnitt 350 Beratungen, von denen zwei bis drei Suizidgedanken betreffen.

Die Jugend dauert heute bis 26

Generation X, Y, Z – wie haben sich die Beratungsbedürfnisse mit der Zeit verändert? «Anfragen zum Thema Angst haben zugenommen», sagt Thomas Brunner und meint damit Verlustängste, Zukunftsängste oder die Angst, bestimmten Ansprüchen nicht zu genügen. Zweitens habe sich das Altersspektrum ausgedehnt, so Brunner: «Heute gilt man – auch in der Statistik – bis 26 als jugendlich, wohnt länger daheim.» Früher sei man schneller erwachsen geworden, und Erwachsene hätten sich klarer vom Lebensstil der Jugendlichen abgegrenzt. Drittens sei der Zugang zu 147 multimedialer und deshalb einfacher geworden. 1999 als Telefonhilfe gestartet, ist Beratung + Hilfe 147 inzwischen auch per Chat, SMS, E-Mail und Website zu erreichen. Bis heute wird mehrheitlich angerufen. «Ein Telefonat ist bei 147 die effizienteste und persönlichste Art, sich Hilfe zu holen», sagt Brunner.

Eine ganz neue Beratungsform ist der Peer-Chat. Dort findet die Beratung nicht durch Fachpersonen statt, sondern durch Jugendliche mit einem Erfahrungshintergrund in gewissen Themen. «Wenn jemand Gleichaltriger dasselbe Problem erlebt und gelöst hat, dann kann dies für die Jugendlichen, die zudem denselben Sprachcode haben, extrem hilfreich sein», erklärt Thomas Brunner. Zwölf Jugendliche zwischen 17 und 24 Jahren hat Pro Juventute bisher zu Beratenden ausgebildet. Während der Live-Chats unterstützt sie ein erwachsener Coach. Die Nachfrage nach der neuen Beratungsform steigt.

147 soll noch bekannter werden

Trotz der stetigen Weiterentwicklung: Laut einer repräsentativen Befragung kennt zwar jede und jeder Vierte die Nummer 147 – doch nur die Hälfte davon weiss, was dahintersteckt. Youtube-Videos zu Suizidprävention, Influencer auf dem Snapchat-Kanal von Pro Juventute und eine starke Präsenz an Schulen sollen den Bekanntheitsgrad des Beratungsangebots steigern. Das Informationsangebot auf www.147.ch wird ständig ausgebaut, damit Jugendliche möglichst bei Pro Juventute landen, wenn sie nach Problemlösungen googeln. «147 in den wenigen Jahren zwischen dem Kindes- und Erwachsenenalter zu verankern, ist im heutigen mediengeprägten Umfeld eine Herkulesaufgabe», gibt Thomas Brunner zu bedenken. Eine Aufgabe, für die nur beschränkte Mittel zur Verfügung stünden.