Kind hüpft auf Himmel-und-Hölle-Spielfeld.
Finanzwissen

Das Gleichgewicht zwischen Sparen und Konsum

Eisernes Sparen ist nicht immer die beste Möglichkeit für Kinder, den Umgang mit Geld zu lernen. Bei der Konsumerziehung geht es darum, ein gesundes Verhältnis zu Geld zu entwickeln. Axel Dammler ist Spezialist für Kinder- und Jugendforschung und arbeitet seit mehr als 20 Jahren mit jungen Menschen. Im Interview erklärt er, wie Kinder Konsum lernen können.

Axel Dammler, Kinder- und Jugendforscher

Axel Dammler

Kinder- und Jugendforscher

Herr Dammler, Sie sind Jugendforscher und Experte im Bereich Kinder und Konsum. Was meinen Sie: Können Kinder selbstbestimmt mit Konsum umgehen oder brauchen sie eine gezielte Anleitung?

Man wird nicht als Konsument geboren. Kinder müssen Konsum genauso lernen wie alles andere auch. Ich vergleiche das gerne mit der Verkehrserziehung – Kinder lernen das Verhalten im Strassenverkehr auch erst an der Hand der Eltern, dann mit immer mehr Freiraum. Es ist wichtig, dass es da eine Anleitung gibt. Die Eltern müssen den Rahmen herstellen, in dem der kindliche Konsum stattfindet: Zum einen, indem sie Geld zur Verfügung stellen. Und zum anderen, indem sie Kindern die Freiräume geben, sich selbstbestimmt im Konsum zu erproben. Das Sackgeld ist also ein ganz wichtiger Faktor.

Die Taschengeldstudie der Credit Suisse zeigt, dass Kinder einen Grossteil ihres Sackgelds sparen. Heisst das automatisch auch, dass sie gut mit Geld umgehen können?

Nein, das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun. Manchen sparenden Kindern fehlt schlicht die Gelegenheit zum Konsum. Ein Beispiel: Meine Töchter wohnen in einem Dorf. Da gibt es kein Geschäft, in dem sie ihr Sackgeld ausgeben könnten. Andere Kinder haben zwar die Gelegenheit, in Geschäfte zu gehen, aber die Eltern kaufen für sie ein. Dadurch nehmen sie ihrem Kind die Möglichkeit, das eigene Geld auszugeben. Das ist eine Form des Überbehütens, des Überversorgens, die wir oft beobachten. Sinnvolles Sparen bedeutet: Das Kind hebt sein Geld bewusst für später auf – aber nicht, weil ihm die Gelegenheit zum Ausgeben fehlt.

Sinnvolles Sparen bedeutet: Das Kind hebt sein Geld bewusst für später auf – aber nicht, weil ihm die Gelegenheit zum Ausgeben fehlt.

Axel Dammler

Heutzutage lauert die Versuchung, Geld auszugeben, an jeder Ecke. Wie schaffen es Eltern, ihren Kindern das richtige Gleichgewicht zwischen Sparen und Konsum beizubringen?

Zum einen ist wichtig: Sparen ist gut, wenn sich das Kind bewusst dafür entscheidet, sein Geld nicht sofort auszugeben. Wenn es aber die Gelegenheit zum Konsum nicht hat, kann es ihn nicht erlernen. Zum anderen müssen Kinder erfahren: Geld ist keine unendliche Ressource. Wenn ich es ausgebe, ist es weg. Sackgeld ist aus pädagogischer Sicht dazu da, dass Kinder selbstbestimmte Konsumentscheidungen treffen und eigene Konsumerfahrungen – auch Konsumfehler – machen. Dadurch sind Kinder später, wenn es um teurere Anschaffungen geht, nicht mehr so leicht in Versuchung zu führen. Der junge Erwachsene muss ja in der Lage sein, mit seinem Geld zu haushalten.

Was sind Ihre Tipps: Wie können Eltern ihren Kindern im Alltag einen angemessenen Umgang mit Konsum beibringen? Worauf gilt es im Speziellen zu achten?

Das Sackgeld ist das zentrale Instrument, um die Kinder an dieses Thema heranzuführen. Zudem können Eltern ihre Kinder aktiv dazu anregen, sich mit ihren Wünschen auseinanderzusetzen, indem sie ihnen Auswahlmöglichkeiten aufzeigen. Ich habe immer versucht, meine Kinder dazu zu bringen, bewusst zu überlegen: Ist dieses Produkt seinen Preis wirklich wert? Dabei tun sich Kinder leichter, wenn sie einen Vergleich vor Augen geführt bekommen. Ein Beispiel: Die Kinder sehen eine sündhaft teure Schachtel mit Pralinen. Dann kann man ihnen sagen: Für das gleiche Geld bekommst du drei Tafeln Schokolade – davon hast du dreimal so viel. Was findest du besser?

Gibt es Konsumfallen, bei denen besondere Vorsicht geboten ist?

Kinder sind genauso anfällig für Konsumfallen wie Erwachsene. Sie wollen zum Beispiel das haben, was auf dem Schulhof oder Spielplatz gerade angesagt ist. Aber: Wenn sie hineintappen, lernen sie im Idealfall daraus. Denn wenn das Geld weg ist, ist es weg. Mir ist es lieber, dass ein Kind mit 10 Franken einen Konsumfehler macht als ein junger Erwachsener mit 1’000 Franken. Wir müssen akzeptieren, dass Kinder Dinge kaufen, die wir Erwachsenen nicht gut finden. Wichtig ist hier: Eltern sollten kein Geld nachschiessen. Ansonsten lernt das Kind: Egal, wofür ich mein Geld ausgebe – es hat keine Konsequenzen. Das wäre das Gegenteil dessen, was man mit der Konsumerziehung erreichen will.

Kind nimmt Geld in die Hand, um es in ein Sparkässeli zu werfen.

Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) setzt sich für werbefreie Räume für Jugendliche und Kinder ein, wie beispielsweise an Sportanlässen. Was meinen Sie dazu? Soll man Kinder vor Konsum schützen?

Zum einen finde ich es nicht gut, wenn Unternehmen in Schutzräume wie Schule oder Sportveranstaltungen eindringen, um dort ihre Themen zu platzieren. Ich bin gegen jede Form von Einflussnahme, wenn sie dazu führt, dass die Schüler im Schutzbereich Schule beeinflusst werden.
Zum anderen ist es aber so, dass viele Vereine und Schulen unterfinanziert sind. So manche Veranstaltung würde nicht zustande kommen, wenn es kein Unternehmens-Sponsoring geben würde. Das ist ein schmaler Grat.
Ich halte nichts davon, bestimmte Bereiche generell konsumfrei zu halten. Damit verbirgt man Kinder unter einer Glocke. Aber irgendwann sind sie alt genug und kommen darunter hervor.

Als Vater von zwei Töchtern: Wie thematisieren Sie Konsum in Ihrer Familie?

Wir haben das pragmatisch gehalten. Unsere Kinder bekommen das Sackgeld auf ihr Konto überwiesen. Zudem hatten sie einen «Freischuss» im Supermarkt: Beim Wocheneinkauf durften sie sich eine Sache aussuchen – aber nur eine. Das bedeutet: Wenn sie eine Zeitschrift ausgewählt hatten und dann eine Süssigkeit wollten, mussten sie die Zeitschrift wieder zurücklegen. So haben wir sie an Entscheidungen herangeführt. Das ist die zentrale Frage, die Konsumerziehung ausmacht: Wofür gebe ich mein Geld aus? Diese Frage begleitet uns das ganze Leben.

Die zentrale Frage, die Konsumerziehung ausmacht, ist: Wofür gebe ich mein Geld aus?

Axel Dammler

Können Sie uns abschliessend noch erklären, warum Menschen eigentlich das Bedürfnis nach Konsum haben?

In dieser Hinsicht sind wir noch Höhlenmenschen (lacht). In der Steinzeit war es etwas Besonderes, zum Beispiel Beeren zu finden. Das ist heute immer noch so: Jedes Mal, wenn wir etwas bekommen, wird unser Belohnungszentrum aktiviert. Wir können ja nicht konsumieren, denn wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Wir werden also, ob wir wollen oder nicht, in eine Konsumgesellschaft geboren. In dieser brauchen wir Selbstkontrolle: Was brauche ich wirklich – und was kann ich mir leisten? Diese Überlegung fällt Kindern extrem schwer. Aufgabe der Erziehung ist, sie dahinzuführen.