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«eFootball ist heute bereits hoch professionalisiert.»

Thomas Temperli, Trainer des eFootball-​Nationalteams, ist ein wahrer Pionier im eFootball und weiss, auf welche Fähigkeiten es im digitalen Fussballsport ankommt.

Thomas Temperli, Sie kennt man im eFootball besonders gut. Einst spielten Sie aber auch auf echtem Rasen. Wie kamen Sie zum eFootball?

Thomas Temperli*: Als Junior spielte ich Rasenfussball in der Schweizer Promotion League. Für uns Fussballjungs gehörte der eFootball stets dazu: Nach der Schule ging man ins Training, dann erledigte man die Hausaufgaben und traf sich später online beim FIFA-​Spiel. Ich merkte schnell, dass ich im eFootball Talent habe. Irgendwann packte mich der Ehrgeiz und ich registrierte mich für meine ersten Wettkämpfe. Diesen Ehrgeiz für den Leistungssport gibt es eben nicht nur im Rasenfussball, sondern auch auf der Konsole. Die Erfahrungen im physischen Fussball und die Kenntnisse daraus kamen mir online stets zugute.

Wie hat sich der eFootball in Ihren Augen seither entwickelt?

Er ist heute bereits hoch professionalisiert. Sowohl die UEFA als auch die FIFA bieten umfassende Unterstützung und treiben die Entwicklung im eFootball voran.

Glauben Sie, der virtuelle Sport hat auch gerade jüngst infolge der COVID-​19-Pandemie an Aufmerksamkeit dazugewonnen?

Durchaus. Aufgrund der Krisensituation kam es zu zahlreichen Ausfällen im physischen Sport. Der eFootball konnte davon profitieren und diente oft als Kompensation – beispielsweise im Fernsehen: So viele Sendezeiten wegen abgesagten Spielübertragungen des Rasenfussballs wären uns ohne COVID-​19 nicht zur Verfügung gestanden.

Sie sagten zuvor, Ihre Erfahrungen im Rasenfussball können Sie im Online-​Spiel als Vorteil nutzen. Welche wichtigen Fähigkeiten aus dem physischen Sport lassen sich ins Digitale übertragen?

Spieler, die sich mit Rasenfussball beschäftigen, zeigen oft ein besseres taktisches Verständnis für den Fussballsport. Im Rasenfussball aktiv zu sein oder Spielübertragungen zu schauen, hilft, auch online Bewegungsabläufe zu verstehen und ein Auge für das Verhalten der Gegner zu entwickeln. Die digitale Umsetzung des Fussballs kommt der Realität in jeder Weise sehr nahe. Ein grundlegendes Interesse am Fussballsport ist für einen FIFA-​Profi daher zwingend.

Welche weiteren Fähigkeiten muss ein eFootball-​Profispieler mitbringen?

Dazu gehören eindeutig Geschick, eine gute Hand-​Augen-Koordination und eine schnelle Reaktionsfähigkeit. Für mich am wichtigsten ist aber die mentale Stärke der Spieler.

Weshalb?

Die Spieler müssen mit Nervosität umzugehen wissen und aus voller Konzentration schöpfen können. Ein einzelnes Wettkampfspiel fordert während zweimal 6 Minuten absolute Aufmerksamkeit. Im Leistungssport entscheidet oft diese mentale Stärke über Sieg oder Niederlage. Das Team mit der besseren mentalen Stärke gewinnt. Daher ist das Mindset gerade auch ein entscheidendes Kriterium bei der Teamzusammenstellung.

Wie gehen Sie also bei der Wahl der Spieler vor?

Ich lasse die Kandidaten spielen, beobachte und spiele auch selber gegen sie. So kann ich jeden Spieler auf seine Eigenschaften prüfen. Welche Spielstrategie verfolgt der Spieler, hat er ein Gefühl für das Spiel und wie trifft er seine Entscheidungen? eFootball ist wie Rasenfussball ein Entscheidungssport: Schiesse ich? Laufe ich vor? Gebe ich denn Ball ab? Das ist ein Talent, das die Kandidaten mitbringen müssen. Als Coach kann ich dieses Talent zwar fördern, aber die Grundnatur dessen muss ein Spieler mitbringen.

Im März 2020 hat der Schweizerische Fussballverband (SFV) das eFootball-​Nationalteam der Schweiz gegründet. Wie kam es dazu?

eFootball war beim Schweizerischen Fussballverband schon länger ein präsentes Thema. Als die UEFA dann die UEFA eEURO 2020 ankündigte, entschied sich der Verband dazu, ein Team aufzustellen.

Die Credit Suisse ist seit 1993 Hauptsponsor des SFV und unterstützt alle Nationalteams – neu auch das eFootball-​Nationalteam. Welche Bedeutung hat das Sponsoring für Ihr Team?

Die Credit Suisse ist für uns ein sehr wichtiger Sponsor, denn man verbindet den Brand Credit Suisse in der Branche sehr eng mit dem Fussball und dem SFV. Im Kontakt mit der Bank spüre ich, dass die Credit Suisse sich bereits sehr mit dem Thema eSports auseinandergesetzt hat. Für den eFootball und dessen Glaubwürdigkeit ist es umso wichtiger, dass sich solch bedeutende Brands engagieren. Und bei der Credit Suisse nimmt man eFootball definitiv ernst.

Wie sehen ihre Aufgaben als Trainer des eFootball-​Nationalteams aus?

Nun, im Oktober erscheint das neue FIFA 21 von EA Sports. Als Trainer gehört es für mich dazu, das Spiel gut kennenzulernen, also erstmal sehr viel selber zu spielen. So kann ich dann die Veränderungen verstehen und ein Gefühl für das neue Spiel erarbeiten.

Weiter unterscheiden sich die Aufgaben für mich als eFootball-​Trainer nicht gross von denen eines Coaches für den Rasenfussball. Ich organisiere Trainingslager und Trainingsspiele. Ich schaue mir vergangene Spiele an und analysiere die Gegner: Ich habe eine Datenbank mit Infos zu jedem Spieler, der weltweit auf hohem Niveau spielt, mit dessen Stärken, Schwächen sowie Merkmalen zur jeweiligen Spielphilosophie.

Wie sieht denn ein Training des Schweizer eFootball-​Nationalteams aus?

Wir treffen uns sehr oft online und spielen. Dabei coache ich die Spieler bezüglich deren Strategie und Taktik. Regelmässig veranstalte ich physische Bootcamps und Trainingsspiele gegen internationale Gegner.

Und ein echter Wettkampf?

Profiturniere finden oft vor Ort statt. Die Teams spielen im Modus eins gegen eins. Aus den Einzelspielen errechnet sich dann der Team-​Sieg. Das Prinzip ist ähnlich wie beim Davis Cup im Tennis. Mehrere Nationen spielen in Gruppen und Runden, und aufgrund des Gesamtergebnisses wird ein Sieger erkoren.

Das Schweizer eFootball-​Nationalteam hat bereits die ersten Länderspiele bestritten. Was nehmen Sie aus diesen ersten Erfahrungen als Team mit?

Wir hatten sowohl bessere als auch schlechtere Spiele. Mit gezieltem Training können wir sicher noch einiges verbessern und unser Niveau weiter anheben. Dazu kommt die Eigenverantwortung der Spieler, auch zuhause regelmässig zu trainieren.

Zu guter Letzt: Wie blicken Sie in die Zukunft? Welche Pläne und Wünsche haben Sie für das eFootball-​Nationalteam?

Unser nächstes Ziel ist es, am FIFA eNations Cup mit der Schweiz vertreten zu sein und uns mit den besten Spielern zu messen.

Für den eFootball allgemein wünsche ich mir noch mehr Akzeptanz von der Gesellschaft – von den Kindern, den Eltern und dem ganzen Geschäftsbereich. Mein persönliches Ziel ist, hier noch mehr Aufklärung zu schaffen, damit eFootball nicht mit den negativen Vorurteilen, die gegenüber dem Gaming bestehen, behaftet bleibt. Spieler lernen durch Taktik, Training, Konzentration und Auffassung sehr viel fürs Berufsleben dazu, und eFootball ist an sich ein hoch sozialer Sport, der ganze Nationen verbindet.