Schnelltests für Menschen. Wie sich ein Berner Start-up neu ausrichtet.

Aus der Veterinärmedizin kommend, nutzte das Start-up livet die Corona-Krise, um sich mit der Produktion von COVID-19-Schnelltests auf einem neuen Markt zu positionieren. CEO Tim Pfister erklärt in der aktuellen Ausgabe der KMU-Studie, was es für den erfolgreichen Richtungswechsel brauchte.

Start-up produzierte Schnelltests für Pferde

Mit der Humanmedizin hatte das Berner Start-up livet AG bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 nicht viel am Hut. Das Unternehmen spezialisierte sich auf die Diagnostik von Atemwegserkrankungen bei Pferden und plante für den Herbst den Markteintritt. Dafür absolvierte livet europaweit Feldstudien, in denen Schnelltests an Pferden durchgeführt wurden.

Lockdown als Startschuss für den Richtungswechsel

Doch dann mischte der Lockdown im März die Pläne des Start-ups neu auf. «Als die Corona-Pandemie zu Einschränkungen im öffentlichen Leben führte, mussten die betreuungsintensiven Feldstudien auf Eis gelegt werden», schildert CEO Tim Pfister in der KMU-Studie 2020 die Situation. Der geplante Markteintritt war plötzlich in Gefahr und livet sah sich mit einer grossen Unsicherheit konfrontiert.

Tim Pfister hält einen Masterabschluss in Volkswirtschaft an der Universität Bern. Mit zwei Partnern gründete er im Juli 2019 das Unternehmen livet und im April 2020 ein Start-up namens ender diagnostics AG. Beide Unternehmen führt er seitdem als CEO.

27/07/2023

Gleichzeitig tat sich dem Unternehmen aber eine neue Chance auf. «Aufgrund unserer Technologie und unseres Know-hows über Infektionskrankheiten in der Veterinärmedizin sahen wir grosses Wachstumspotenzial in der Humandiagnostik», erklärt Tim Pfister. Nur zwei Tage nach dem Lockdown entschied sich das Unternehmen, auf COVID-19-Schnelltests umzusatteln, und bereits im April wurde mit ender diagnostics eine neue Firma gegründet.

Das Start-up greift bei der Rekrutierung auf das eigene Netzwerk zurück

Der Richtungswechsel brachte für die junge und noch eher kleine Firma grosse Herausforderungen mit sich. Um diese bewältigen zu können, entschieden sich Tim Pfister und Co. für eine finanzielle Abspaltung vom bestehenden Unternehmen. «Wir wollten nicht die Ressourcen und finanziellen Mittel, die wir in livet investiert haben, für das neue Projekt riskieren», begründet Tim Pfister den Entscheid. Zur Freude des CEO hätten Investoren schnell vom Vorhaben überzeugt werden können, da sich ender diagnostics in einem vielversprechenden Wachstumsmarkt positionierte.

 

Im Gegensatz zur Finanzierung gestaltete sich die Rekrutierung von neuem Personal jedoch schwieriger. Inmitten der Corona-Pandemie die Belegschaft auszubauen, sei kein einfaches Unterfangen gewesen. Tim Pfister: «Wir waren ein neu gegründetes Unternehmen ohne Bekanntheitsgrad. Bei der Rekrutierung stützten wir uns deshalb auf unser bestehendes Netzwerk – und das mit Erfolg.» Innert kürzester Zeit vergrösserte sich das Team von neun auf mittlerweile über 30 Mitarbeitende.

Credit Suisse KMU-Studie 2020

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27/07/2023

Angebot an Schnelltests soll weiter ausgebaut werden

Beim strategischen Richtungswechsel profitierte livet nicht nur vom eigenen Netzwerk, sondern auch von einem erleichterten Zulassungsprozess für medizinische Produkte. «Die Nachfrage war gross und dadurch wurde es für uns einfacher, zuverlässige Schnelltests auf den Markt zu bringen», fasst der CEO zusammen. Mit den beiden COVID-19-Tests «ender LAB» und «ender MASS» hat ender diagnostics bereits zwei Produkte lanciert. Zusätzlich wurde mit «ender MOBILE» ein mobiler Corona-Test auf den Markt gebracht, der standortunabhängig durchgeführt werden kann.

 

Für die Zukunft sind noch weitere Anpassungen im Geschäftsmodell geplant. Dabei möchte die Firma in Zusammenarbeit mit Partnerlaboren nicht nur die Produktpalette weiter ausbauen, sondern auch die Laborkapazität in der Schweiz und auf der ganzen Welt aufstocken. «Ich denke, es gibt insgesamt noch viele Anwendungsgebiete, die wir erschliessen können», zeigt sich Tim Pfister optimistisch.

Start-up profitiert vollumfänglich vom Richtungswechsel

Alles in allem hat sich der strategische Richtungswechsel also gelohnt. Denn die Gründung von ender diagnostics hat auch positive Auswirkungen auf livet. «Die gesammelten Erkenntnisse werden künftig ebenfalls für die Weiterentwicklung der Schnelltests im Bereich der Veterinärdiagnostik bei livet von Nutzen sein», sagt Tim Pfister. Andererseits sei man mit ender diagnostics auch relativ schnell gewachsen, weshalb Administrations-, Bestell- und Kundenprozesse weiterentwickelt werden mussten. Dadurch könnten bei livet nun gewisse Entwicklungsschritte übersprungen werden.

 

Trotz dieser Win-win-Situation sieht Tim Pfister jedoch auch Verbesserungspotenzial. «Rückblickend würde ich noch schneller mehr Ressourcen in den Richtungswechsel investieren», reflektiert der CEO. Deshalb rät er einem Unternehmen, das sich neu ausrichten möchte, den ausgearbeiteten Plan von Beginn weg konsequent umzusetzen.

Drei Fragen, drei Antworten mit Marc Steiner

Marc Steiner ist für die Credit Suisse als Firmenkundenberater tätig und begleitet das Berner Start-up livet seit dessen Gründung im Jahr 2019.

27/07/2023

Herr Steiner, wie erleben Sie die Geschäftsbeziehung mit livet?

Das Start-up-Business ist eine Welt für sich. Es macht grossen Spass, mit livet ein Unternehmen in diesem Umfeld betreuen zu können. Neue Technologien und Innovationen sorgen auf der Produktseite immer wieder für spannende Herausforderungen. Die Geschäftsbeziehung mit livet basiert derweil vor allem auf Beratung, Betreuung in Sachen Kapitalerhöhung und Investorensuche. Dabei sind wir bemüht, stets möglichst gute Lösungen zu finden, die der Agilität und Spontaneität des Unternehmens entsprechen.

 

Die COVID-19-Pandemie zwang viele KMU in der Schweiz, sich nach neuen Geschäftsmodellen umzusehen. Was raten Sie einem Unternehmen, das sich neu ausrichten möchte?

Es lohnt sich, erfinderisch zu sein, um neue Möglichkeiten auf dem Absatzmarkt ausfindig machen zu können. Ist der Markt für einen Richtungswechsel vorhanden, helfen Agilität und Flexibilität dabei, sich darin festzusetzen. Hier sind kleinere Unternehmen wie beispielsweise livet oftmals im Vorteil. Als Bank prüfen wir auch immer, ob der von der Firma geplante Richtungswechsel sinnvoll ist. Ich berate unsere Kunden stets bei strategischen Änderungen und Projekten. Denn der strategische Dialog ist mir sehr wichtig.

 

Die Finanzierung ist für ein Start-up bei einem Richtungswechsel eine grosse Herausforderung. Welche Möglichkeiten gibt es für ein kleines Unternehmen, einen Richtungswechsel zu finanzieren?

Im Start-up-Bereich ist die klassische Finanzierung nicht möglich. Dennoch engagiert sich die Credit Suisse beispielsweise mit dem TOP 100 Swiss Startup Award und anderen Investoren- und Netzwerkgefässen aktiv im Start-up-Umfeld. Dabei helfen wir, Investoren zu suchen und ein Netzwerk zur Verfügung zu stellen, sodass Synergien mit anderen Unternehmen entstehen können. Auf diese Art und Weise haben wir bis jetzt die meisten Finanzierungsrunden bei solchen Unternehmen sicherstellen können – egal, ob über Venture-Capital-Gesellschaften oder mithilfe von Einzelinvestoren.