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Wohnen ohne Treibhausgasemissionen bis 2050 – Utopie oder Realität?

Der Schweizer Wohnungsbestand soll bis 2050 klimaneutral werden. Insbesondere, weil Immobilien mit einem Anteil von fast 24 Prozent der drittgrösste Verursacher von Treibhausgasemissionen sind. Doch wie realistisch ist eine Abkehr von fossilen Energieträgern in diesem Segment bis 2050 wirklich? Die Immobilienstudie 2023 der Credit Suisse geht dieser Frage nach.

Immobilien verursachen fast ein Viertel aller Treibhausgasemissionen

Die Zukunft der Umwelt schlägt der Schweizer Stimmbevölkerung aufs Gemüt. Dies zeigt der Sorgenbarometer der Credit Suisse. Denn das Thema schaffte es jüngst auf Platz eins der Sorgen der Schweizer Stimmbevölkerung. Nicht umsonst hat sich die Schweizer Politik dem Ziel verschrieben, die Emission von Treibhausgasen (THG) bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Dafür muss der Ausstoss bis 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert werden. Das wirkt sich weitreichend auf die Entwicklung des Gebäudebestands in der Schweiz aus, stellt dieser doch mit einem Anteil von 23,9 Prozent den drittgrössten Verursacher von THG-Emissionen dar.

Die Immobilienstudie 2023 beleuchtet, welche Herausforderungen der Weg bis Netto-Null mit sich bringt. Wichtige Grundlagen hierfür sind die Szenarien des Bundesamts für Energie (BFE) im Rahmen der Energieperspektiven 2050+. Zusätzlich haben die Autoren der Immobilienstudie eigene Szenarien gerechnet.

Neubauten kommen fast ohne fossile Energieträger aus

Im Neubau hat sich bereits viel getan: Bei neu erstellten Ein- und Mehrfamilienhäusern wird seit mehr als einem Jahrzehnt mehrheitlich auf Heizungen ohne fossile Energieträger gesetzt. In den letzten Jahren verstärkte sich dieser Trend nochmals. 2022 wurden 97 Prozent der bewilligten Einfamilienhäuser und 96 Prozent der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit Heizungen ohne fossile Energieträger geplant.

Bei Einfamilienhäusern setzt man fast ausschliesslich auf Wärmepumpen. In neu geplanten Mehrfamilienhäusern spielen daneben auch Fernwärmesysteme eine wichtige Rolle. Im Zuge des wachsenden Umweltbewusstseins und des starken Anstiegs der Preise für fossile Energieträger dürften Öl- und Gasheizungen bei Neubauten bald komplett wegfallen.

Kaum Neubauten mit fossilen Heizungen

Kaum noch Neubauten mit fossilen Energieträgern

Letzter Datenpunkt: 10.2022
Quelle: Baublatt, Credit Suisse

Grosse Wissenslücken im Wohnungsbestand

Anders präsentiert sich die Situation im Bestand: Durch die lange Lebensdauer von Gebäuden – inklusive Fassaden, Fenstern und Dächern – hat ein frühzeitiger Ersatz hohe Abschreibungskosten zur Folge. Daher werden Sanierungen nur selten deutlich früher als nötig in Angriff genommen.

In Bezug auf den energetischen Zustand der Wohngebäude in der Schweiz bestehen grosse Wissenslücken: Über den Zeitpunkt und den Umfang von bisherigen Sanierungen stehen derzeit keine Daten zur Verfügung. Dies, obwohl die Gemeinden aufgefordert sind, ihre Daten zu aktualisieren.

Es liegen allerdings Informationen zur Heizung im Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) vor. Bei den verfügbaren Daten ist jedoch Vorsicht geboten, da knapp die Hälfte davon aus der Volkszählung 2000 stammt. So müssten viele Heizungen wegen ihrer durchschnittlichen Lebensdauer von 15 bis 25 Jahren bereits ersetzt worden sein. Ein Vergleich mit einer vom Bundesamt für Statistik im Jahr 2017 durchgeführten Umfrage zu Heizungen in Wohngebäuden scheint diese Vermutung zu bestätigen: Dabei waren in 39 Prozent aller Wohngebäude Ölheizungen und in 21 Prozent Gasheizungen installiert. Das sind weniger Ölheizungen als im GWR 2022.

Immobilienstudie: 60 Prozent der Wohngebäude heizen noch fossil

60 Prozent der Wohngebäude heizen noch fossil

Letzter Datenpunkt: 06/2022
Quelle: Bundesamt für Statistik

Harziger Weg bis Netto-Null

Die Politik ist sich der Herausforderungen in Bezug auf den hohen Anteil energetisch nicht optimierter Altbauten bewusst und hat reagiert. In den 2014 beschlossenen «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich» (MuKEn) verschärfte sie die energierechtlichen Vorschriften im Gebäudebereich. Die Umsetzung erfolgt jedoch nur langsam. Ende September 2022 war die Inkraftsetzung der MuKEn 2014 erst in 21 Kantonen beschlossen oder ist tatsächlich erfolgt.

Als Folge der gesetzlichen Anforderungen und der hohen Preise für fossile Energieträger beschleunigte sich der Ersatz herkömmlicher Heizungen durch nachhaltige Lösungen jüngst stark und dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Jedoch müsste die Häufigkeit von Fassadensanierungen gemäss Energieperspektiven 2050+ im Zeitraum von 2015 bis 2035 bei Mehrfamilienhäusern um 40 Prozent zunehmen, um die anvisierten Ziele zu erreichen.

Restlebensdauer von Bauteilen verlangsamt den Absenkpfad

Gemäss den Szenarien des Bundesamts für Energie (BFE) werden in Zukunft in mehr als 90 Prozent der Neubauten von Einfamilienhäusern Wärmepumpen zum Einsatz kommen. Bei Mehrfamilienhäusern wird zudem Fernwärme eine wichtige Rolle spielen. Wegen des hohen Anteils an fossilen Energieträgern und der erwähnten Restriktionen wird der Pfad zu einem vollständig nachhaltigen Schweizer Wohnungsbestand jedoch anspruchsvoll bleiben. Das BFE erwartet in seinem Hauptszenario «Zero Basis» zwischen 2022 und 2030 einen Rückgang der fossilen Heizungen um 25 Prozent. Bis 2050 sollen dann nur noch 6 Prozent aller Wohnungen mit Gas und 1 Prozent mit Öl beheizt werden.

Das Hauptszenario von Experten der Credit Suisse zeigt trotz Restriktionen bei den Sanierungen einen schnelleren Rückgang der Wohnungen mit fossilen Heizträgern als das «Zero Base»-Szenario des BFE. Dies ist in erster Linie auf die Differenz am Start zurückzuführen. Hier zeigt sich wohl eine der grössten Problematiken bei der Beurteilung eines möglichst realistischen Absenkpfads. Ohne genaue Daten dazu, wie viele Wohngebäude heute eine fossile Heizung aufweisen, dürften sich Prognosen weiterhin als schwierig erweisen. Umso schneller muss daher Transparenz geschaffen werden.

Anzahl Wohnungen mit fossilen Energieträgern

Anzahl Wohnungen mit fossiler Heizung

Quelle: Credit Suisse, Bundesamt für Energie
Letzter Datenpunkt: 2017

Szenarien:
CS Wachstum 2022: Heizungswechsel erfolgen weiterhin so schnell wie 2022
CS Beschleunigtes Wachstum: Heizungswechsel wird noch weiter als bisher beschleunigt
CS Renovationszyklus: Restriktionen beim Heizungsersatz

Fazit: machbar, aber anspruchsvoll

Das Ziel eines klimaneutralen Schweizer Wohnungsbestands bis 2050 ist anspruchsvoll, liegt aber nicht in unerreichbarer Ferne. Denn schliesslich gewinnt die Nachhaltigkeit bei immer mehr Haushalten an Stellenwert. Um es aber tatsächlich zu erreichen, sind weitere Anstrengungen unabdingbar. Hierbei steht insbesondere auch die Frage im Vordergrund, wie die energetische Sanierung von Fassaden, Dächern oder Fenstern beschleunigt werden kann.

Es dürfte ohne gesetzlichen Druck wohl kaum funktionieren, beispielsweise müssten fossile Energieträger sehr direkt über eine CO2-Abgabe verteuert werden. Denn so wohlwollend freiwillige Einsparbemühungen oder CO2-Kompensationen auch sind: Der Erfolg bleibt bescheiden.

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