Vorsorgelücken schliessen. Schweizer Vorsorgesystem.
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Vorsorgelücken erkennen, vermeiden und rechtzeitig schliessen

Wenn die Rente nicht reicht, um die gewohnten Ausgaben zu decken, spricht man von einer Vorsorgelücke. Welche Ursachen einer solchen Lücke zugrunde liegen können und welche Möglichkeiten das Schweizer Vorsorgesystem vorsieht, um sie zu vermeiden oder rechtzeitig zu schliessen.

Was ist eine Vorsorgelücke?

Das Schweizer Vorsorgesystem sieht vor, dass die gesetzlich geregelten Einzahlungen in die AHV (staatliche Vorsorge) und die Pensionskasse (berufliche Vorsorge) Pensionierten die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung ermöglichen. Die daraus resultierende Rente deckt aber grundsätzlich nur 60 Prozent des letzten Lohnes oder noch weniger. Das reicht in der Schweiz in den meisten Fällen nicht aus, um den bisherigen Lebensstandard nach der Pension fortführen zu können. Dafür würde es 80–90 Prozent des letzten Einkommens benötigen. Die Differenz zwischen den ausbezahlten Rentengeldern und den effektiven Lebenshaltungskosten nennt man Vorsorgelücke.

Vorsorgelücken im 3-Säulen-System

Vorsorgelücken im Drei-Säulen-System

Beiträge aus der AHV (1.Säule) und der Pensionskasse (2.Säule) decken in der Schweiz rund 60 Prozent des letzten Lohnes. Ab einem Jahreseinkommen von ca. 85’000 Franken sinkt dieser Prozentsatz in der Regel noch weiter ab.

Quelle: AHVG, BVG und Verordnungen

Rechenbeispiel bei einem Lohn von CHF 100’000

Trotz ununterbrochenen Einzahlungen in AHV und Pensionskasse sind für den Ruhestand mit der staatlichen und der beruflichen Vorsorge nur knapp 60 Prozent des Lohnes gedeckt. Nötig aber wären nach einer Faustregel ungefähr 80–90 Prozent, um den gewohnten Lebensstandard zu halten.

Situation vor der Pensionierung

 

Jahreslohn

CHF 100'000.–

Situation nach der Pensionierung

 
Leistungen AHV (1. Säule) CHF 29'400.–
Leistungen Pensionskasse (2. Säule)* CHF 30'000.–
Total CHF 59’400.–

Berechnung Vorsorgelücke

 
Bedarf CHF 80'000.–
Leistungen aus 1. und 2. Säule CHF 59'400.–
Jährliche Vorsorgelücke CHF 20'600.–

* Annahme bei der Rentenauszahlung der 2. Säule: CHF 30’000 (die tatsächlichen Leistungen sind auf dem Pensionskassenausweis ersichtlich).

Mögliche Ursachen von Vorsorgelücken aufdecken

Wie hoch die ausbezahlte Altersrente, und indes die Vorsorgelücke ist, hängt nebst dem letzten Einkommen von weiteren Faktoren ab:

  • Fehlende AHV-Beitragsjahre: Jedes fehlende Beitragsjahr kürzt die Rente lebenslänglich für Frauen und Männer um 1/44. Beitragsjahre gehen verloren, wenn beispielsweise während der Kinderbetreuung, dem Studium, dem Sprachaufenthalt oder einer längeren Reise in einem Jahr der AHV-Mindestbeitrag nicht eingezahlt wird.
  • Teilzeitarbeit: Die Pensionskassenbeiträge der beruflichen Vorsorge richten sich nach dem Jahreseinkommen. Entsprechend fallen die Beiträge bei Teilzeitarbeit tiefer aus, was in einer niedrigeren Altersrente resultiert. Ähnliches gilt für die AHV-Rente. Da das durchschnittliche Einkommen bei Teilzeitarbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit tiefer ausfällt als bei einer Vollzeit-Stelle, ist auch die AHV-Rente kleiner.
  • Frühpensionierung: Bei einer Frühpensionierung zahlen die Firma sowie der oder die Erwerbstätige weniger lange ein. Das kürzt die Jahresrente, zudem fallen Zinsen sowie Zinseszinsen der fehlenden Beiträge weg.
  • Scheidung: Die Vorsorgebeiträge aus AHV, Pensionskasse und der 3. Säule werden in der Schweiz während der Ehejahre grundsätzlich hälftig zwischen den verheirateten Personen aufgeteilt.
  • Hohes Einkommen: Je höher das Jahreseinkommen, umso grösser ist in der Regel die Vorsorgelücke, da die obligatorischen Leistungen begrenzt sind.
  • Umwandlungssatz: Ein fallender Umwandlungssatz senkt die Altersrente, da das angesparte Pensionskassenguthaben für die Rentenberechnung damit multipliziert wird.

Auswirkungen von Vorsorgelücken kennen

AHV und Pensionskasse orientieren sich in ihren Leistungen am Minimalbedarf der Pensionierten. Das heisst, bereits die volle Altersrente lässt keine grossen Sprünge zu. In welchem Mass sich Rentenlücken auf die Lebensumstände im Alter auswirken können, sind sich viele Berufstätige nicht bewusst. So gibt es auch in der Schweiz immer wieder Menschen, die ihren täglichen Lebensbedarf im Alter plötzlich nicht mehr decken können.

Ein häufiges Beispiel sind Immobilienbesitzende, die plötzlich die Kosten nicht mehr tragen können und sich vom Eigenheim trennen müssen. Bei zugewanderten Personen kommt es sogar vor, dass sie aufgrund der Lücken in der Vorsorge im Alter gezwungen sind, in ihr Ursprungsland zurückzukehren. Schlicht, weil dort die Lebenshaltungskosten in der Regel tiefer sind.

Wann muss man sich um die Vorbeugung von Vorsorgelücken kümmern?

Die AHV-Beitragspflicht beginnt für Erwerbstätige ab dem 1. Januar des 18. Altersjahres. Für Nichterwerbstätige – Schülerinnen und Schüler sowie Studierende – gilt sie ab dem 1. Januar des 21. Altersjahres.

Wer also aufgrund eines Studiums keiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, muss den AHV-Mindestbeitrag einzahlen. Studierende sollten daher die Vorsorgekonsequenzen prüfen – grundsätzlich sollte man das jedoch bei jeder Änderung der Lebenssituation tun. Sei es ein beruflicher Karrieresprung, ein längerer Auslandsaufenthalt, eine Familiengründung oder eine Scheidung. Ansonsten ist es spätestens ab 50 Jahren ratsam, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

Vorsorgelücken schliessen mit vorausschauender Vorsorgeplanung

1. AHV-Beiträge kontrollieren

Fehlende AHV-Beiträge kürzen die Altersrente lebenslänglich um 1/44. Wer wissen möchte, ob Beitragslücken bestehen, kann bei der jeweiligen Ausgleichskasse den Kontoauszug aus dem individuellen Konto (IK) bestellen Bestehende Lücken können lediglich während fünf Jahren nachgezahlt werden.

Mit der Reform AHV 21 gibt es hier eine zusätzliche Möglichkeit: Wer über das Referenzalter hinaus arbeitet, zahlt heute bis zu einem Bruttolohn von 1’400 Schweizer Franken pro Monat keine AHV-Beiträge. Löhne über diesem Freibetrag sind beitragspflichtig, führen aber nicht zu einer höheren Altersrente. Nach Inkrafttreten der Reform AHV 21 kann neu freiwillig auf den Freibetrag verzichtet werden. Das müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber bei jedem Arbeitgeber einzeln beantragen. Zudem werden die bezahlten AHV-Beiträge nach Alter 65 auf Antrag für die Rentenberechnung berücksichtigt. Auf diese Weise ist es möglich, dass zum einen frühere Beitragslücken geschlossen werden können und zum anderen mit den bezahlten Beiträgen die persönliche AHV-Rente noch erhöht werden kann.

2. Freiwillige Vorsorge planen

In der Praxis gelten 80–90 Prozent des letzten Einkommens als Richtwert für den Bedarf im Ruhestand. Für die Differenz zu den Leistungen aus 1. und 2. Säule (ca. 60 Prozent) muss privat vorgesorgt werden – das gelingt über die freiwillige bzw. die private Vorsorge:

  • Säule 3a: In erster Linie empfehlen sich Einzahlungen in die private Vorsorge – zum Beispiel in die Säule 3a. Aufgrund der Zinseszinsen ist es lohnenswert, frühzeitig mit der Altersvorsorge zu beginnen. Sofern finanziell möglich, bietet es sich für Erwerbstätige mit Pensionskasse an, den jährlichen Maximalbeitrag der Säule 3a von derzeit 7’056 Franken einzuzahlen. Denn dieser kann vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden.
  • Einkauf in die Pensionskasse: Die freiwilligen Pensionskasseneinkäufe können wie bei der Säule 3a vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden. Einkäufe in die Pensionskasse ermöglichen in der Regel eine flexible Wahl zwischen einer höheren Pensionskassenrente oder einer höheren Kapitalauszahlung bei Pensionierung.

Bei beiden Möglichkeiten fallen während der Laufzeit keine Vermögens-, und Einkommenssteuern auf das angesparte Vorsorgegeld an. Beim Bezug in Kapitalform werden bei beiden Optionen zwar wieder Steuern erhoben, jedoch getrennt vom übrigen Einkommen und zu einem tieferen Vorzugssatz.

  • Säule 3b: Alternativ bietet sich auch die Säule 3b der privaten Vorsorge an. Bei dieser Variante bleibt das Geld verfügbar, es bestehen aber mit wenigen Ausnahmen keine Steuervorteile.

3. Antrag stellen für AHV-Rentenvorausberechnung und Pensionskassenausweis studieren

Mit einer Rentenvorausberechnung kann man die voraussichtliche Rente berechnen lassen. Das lohnt sich insbesondere für Frauen der Übergangsgeneration (Jahrgänge 1961–1969) auch im Hinblick auf die Gesetzesänderungen durch die Reform AHV 21, welche am 1. Januar 2024 in Kraft tritt.

Zusätzlich sollte man den Pensionskassenausweis studieren, um die Renteneinnahmen zu bestimmen. Sehr wichtig ist dabei auch, die eigene Pensionskasse genau anzuschauen: Ist sie stabil? Was steht im Reglement?

4. Budget erstellen

Es ist zentral, ein Budget zu erstellen und die Kosten aufzulisten, mit denen man rechnen muss. Die Frage: «Wann gebe ich mehr Geld aus, beim Arbeiten oder in der Freizeit?» dient dabei als Unterstützung. So kann man sich im Ruhestand gewisse Wünsche erfüllen, Hobbys pflegen und etwas gönnen.