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«Probleme werden nicht gelöst, wenn wir uns abnabeln»

«Probleme werden nicht gelöst, wenn wir uns abnabeln»

Mary Ellen Iskenderian, Präsidentin und CEO von Women's World Banking, über den sozialen Fortschritt und darüber, wie man die grossen Herausforderungen unserer Zukunft angehen soll.

Mary Ellen Iskenderian (60) ist Präsidentin und CEO von Women's World Banking, dem weltweit grössten Netzwerk von Mikrofinanzinstituten und -banken. Zuvor arbeitete die Ökonomin bei der Weltbank. Mary Ellen Iskenderian ist ausserdem Beraterin der Clinton Global Initiative.

Mary Ellen Iskenderian

"Soziale und kulturelle Fragen sind miteinander verbunden."

- Mary Ellen Iskenderian

Interview Laura Hemrika, Global Head Corporate Citizenship & Foundations, Credit Suisse

Wir befinden uns am Ende eines Jahrzehnts, in dem viele soziale Fragen – von den LGBTQ+-Rechten* über die Rechte der Frauen bis hin zu den Auswirkungen der Einwanderung – ins Zentrum des öffentlichen Diskurses gerückt sind. Haben sich die Fortschritte in diesen Bereichen beschleunigt?

Im Allgemeinen ja. Aber ich glaube, dass es in den letzten Jahren in vielen Bereichen auch eine Reaktion gegen den Wandel gegeben hat – bis zu einem gewissen Grad sind die Fortschritte bei einer Reihe von Fragen ins Stocken geraten. Es gibt einen Wettlauf zwischen denen, die daran arbeiten, die Dinge weiter voranzutreiben, und denen, die aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen gegenüber weiterem Fortschritt eher kritisch eingestellt sind. 

Zeigen sich hierbei grosse nationale Unterschiede?

Es gibt sicherlich geografische und kulturelle Differenzen, wie auch die Einstellung der Menschen zum Fortschritt variiert. Das Fortschrittsbarometer der Credit Suisse zeigt, dass die Gleichberechtigung ein Bereich ist, in dem die Mehrheit der Befragten weltweit eine Beschleunigung des Fortschritts wünscht, und dass es einen noch grösseren Konsens über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Notwendigkeit von familienergänzender Kinderbetreuung gibt. Andererseits sind die Menschen bei der Einwanderung und leider auch bei den LGBTQ+-Rechten ambivalenter eingestellt. Im Allgemeinen ist der Wunsch nach sozialem Fortschritt in den Schwellenländern am grössten; die Menschen in den westlichen Ländern scheinen weniger fortschrittsbegeistert zu sein.

Woran liegt das? 

Individuelle Entscheidungen sind komplex und schwer zu verallgemeinern. Eine Erklärung könnte sein, dass es an den Orten, wo die Menschen mehr zu verlieren haben und sich möglicherweise vom Wandel bedroht fühlen, verlockender ist, den Status quo zu konservieren und Barrieren zwischen sich selbst und denjenigen zu schaffen, die weniger haben. Das könnte auch erklären, warum Fortschritte bei der Einwanderung und den LGBTQ+-Rechten eher skeptischer beurteilt werden. Bürger wohlhabender Länder, die um ihren sozialen oder wirtschaftlichen Status fürchten, neigen vielleicht eher zur Annahme, dass der Kuchen immer die gleiche Grösse hat und dass bei Veränderungen jemand andres ein grösseres Stück auf ihre Kosten bekommt. Andererseits haben viele Länder mit grosser Unterstützung für den sozialen Fortschritt – ich denke an Südafrika, Brasilien und Indien – eine junge und wachsende Bevölkerung, die darauf bedacht ist, ihr Leben weiter zu verbessern, anstatt primär das zu verteidigen, was sie hat. Diese Menschen sehen, wie der ganze Kuchen wächst und welche Möglichkeiten sich aus dem Fortschritt ergeben. Es ist wichtig, zu verstehen, dass soziale und kulturelle Fragen miteinander verbunden sind – Armut und Klimawandel wirken sich stärker auf die Entwicklungsländer aus, was zu mehr Hilfe in und Migration aus den Entwicklungsländern führt. Dies verstärkt die sozialen Spannungen in den entwickelten Ländern. Wenn wir gemeinsam an Lösungen für Armut und Klimawandel arbeiten, profitieren also sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer. 

Women's World Banking zielt darauf ab, durch finanzielle Integration zur Stärkung von Frauen beizutragen. Welche Innovationen sind notwendig, um diesen Bereich voranzutreiben?

Unser Fokus liegt auf dem raschen Ausbau der formalen finanziellen Integration unterversorgter Frauen in unseren sechs Schwerpunktmärkten. Diese Länder haben wir ausgewählt, weil wir da neue Lösungen, Lern- und Entwicklungsprogramme und politische Lösungen in grösserem Umfang entwickeln, testen und breit ausrollen können. Häufig bestehen die Integrationshürden aus grundlegenden Problemen wie etwa der Tatsache, dass man seine rechtliche Identität nicht beweisen kann. Technologien wie biometrische Ausweise können hier helfen. Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Technologie kein Allheilmittel ist; wenn wir neue technologische Lösungen entwerfen, müssen wir ebenso die soziokulturellen Schranken berücksichtigen, denen Frauen ausgesetzt sind, sowie das Bedürfnis nach einem Gleichgewicht zwischen Technologie und menschlichem Austausch.

Während viele Befragte die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen durchaus positiv bewerten, sind sie gegenüber Fortschritten in politischen Fragen in den meisten Ländern skeptischer eingestellt. Kann der soziale und wirtschaftliche Wandel ohne politische Unterstützung vorankommen?

Ja, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Das Vertrauen in politische Akteure ist in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Ländern, insbesondere in Demokratien, gesunken. So können die Menschen Veränderungen wollen, aber ohne «mehr Politik». Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, dass von Politikern und Regierungen kein Fortschritt gewünscht ist. Die grossen Probleme des 21. Jahrhunderts – demografischer Wandel, grosse Migrationsströme und Klimawandel – werden nicht gelöst, wenn wir uns abnabeln. Wirkliche Fortschritte können nur erzielt werden, wenn alle Akteure zusammenarbeiten.

*LGBTQ+: Sammelbezeichnung für Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell von männlich und weiblich entspricht. Abkürzung für englisch «lesbian, gay, bisexual, transgender, queer and other sexualities»

Die Credit Suisse ist seit 2011 Partner von Women's World Banking. Die Bank unterstützt die Organisation durch ihre Financial Inclusion Initiative mit dem Ziel, die Entwicklung und Implementierung von Finanzprodukten und Dienstleistungen für Frauen weltweit zu fördern. Beim gemeinsamen Programm «Leadership and Diversity for Innovation» wird einer vielversprechenden weiblichen Führungskraft ein Senior Executive (weiblich oder männlich) zur Seite gestellt, um ihre Fähigkeiten in der erfolgreichen Betreuung von Frauen mit geringen Einkommen zu verbessern und dabei die Geschlechtervielfalt in der Führungsebene von Unternehmen in der Mikrofinanzbranche zu fördern.

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