Insights und Stories

Nora Häuptle: "Klar, wollen wir gewinnen"

Die Schweizer U19-Frauen träumen vom Titelgewinn bei der Heim-Europameisterschaft im Juli. Ein Gespräch mit Nationaltrainerin Nora Häuptle über ihre Philosophie, die Stärken ihres Teams und die Gründe, warum sich ein Stadion-Besuch absolut lohnt.

Sie gehören zur modernen Trainergeneration, die auch im Männerfussball das Ruder übernimmt. Was zeichnet Ihre Generation aus?

Wir sind taktisch sehr bewandert, haben klare Ideen vom eigenen Spiel, können aber unsere Prinzipien auch systemisch flexibel coachen. Zudem ist es elementar, dass man mit Menschen umgehen kann. Die heutigen Spielerinnen geben sich nicht mehr mit einfachen Antworten zufrieden. Sie sind sehr anspruchsvoll, stellen zu Recht gute Fragen, auf die man adäquate Antworten bereit haben muss.

Sind Sie eher der Typ Generalin oder Kumpel?

Als Trainerin ist man die Chefin und die Menschen wollen auch, dass Du entscheidest. Damit kann man nie alle glücklich machen. Gleichzeitig versuche ich, die Spielerinnen individuell zu behandeln. Es gibt Hierarchien und die unterschiedlichsten Charaktere. Alle gleich zu behandeln, das funktioniert nicht im Spitzensport. Und schliesslich versuche ich mein Team emotional zu berühren. Mir ist es wichtig, dass sie merken, dass Fussball nicht einfach nur ein Geschäft ist, sondern unsere grösste Leidenschaft.

Sie sagen über sich, Sie seien sehr ehrgeizig. Sind Sie nach Niederlagen unausstehlich?

Nein, ich bin eher in mich gekehrt und fange postwendend mit der Analyse an. Versuche greifbar zu machen, was falsch gelaufen ist und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Wichtig ist dabei, sich nicht aufs Resultat zu versteifen: Auch bei Siegen läuft oft einiges falsch.

Seit Ihrem Rücktritt 2010 als Nationalspielerin hat der Frauenfussball in der Schweiz enorme Fortschritte gemacht. Was sind die Gründe?

Wir müssen in der Schweiz mit den wenigen lizenzierten Spielerinnen sehr effektiv und effizient arbeiten. Seit über 20 Jahren entwickelt der SFV einen roten Faden in der Ausbildungsphilosophie und verfügt über gut geschulte Trainer. Die Wege sind kürzer, als in grossen Verbänden und wir können unsere Ausbildung somit schneller den Anforderungen des modernen Fussballs anpassen. Zudem zeichnet sich die Swissness aus: Wir sind akribisch in unserer Arbeit, sei es in den Vereinen oder im Verband und leben unsere Philosophie voller Stolz und Leidenschaft.

Welche Bedeutung hat dabei die Credit Suisse Academy in Biel?

Eine sehr wichtige, wie der Blick auf die Nationalteams zeigt. Viele der besten Nationalspielerinnen waren da, von Ramona Bachmann über Lia Wälti bis zu Géraldine Reuteler. Und vom aktuellen U-19 Kader wurde über die Hälfte dort ausgebildet. Das Centre Préformation für Talente zwischen 13 und 15 legt die technische Basis und ist besonders für Spielerinnen aus Regionen ohne Grossvereine wichtig, da sie hier Schule und Sport unter einen Hut bringen können und von professionellen Trainerinnen ausgebildet werden. Es gibt Überlegungen, ob es noch ein zusätzliches Zentrum für die 16 bis 18-Jährigen braucht. Ein Centre Formation, wo die athletische und taktische Ausbildung im Vordergrund steht.

Jedes Team hat seinen eigenen Charakter. Was zeichnet die aktuelle U19, die im Juli die EM bestreitet, besonders aus?

Die Spielerinnen sind unglaublich reflektiert. Sie haben bereits ein grosses Wissen im taktischen Bereich und machen sich manchmal fast zu viel Gedanken über Fussball. Ich muss deshalb darauf achten, dass sie im Spiel nicht die Leichtigkeit verlieren und frech aufspielen können. Zudem ist es ein sehr junges Team mit einigen fantastischen Talenten.

Welche Spielerinnen gilt es besonders zu beachten?

Wir verfügen über eine ausgezeichnete Achse. Angefangen bei der Torhüterin Elvira Herzog, über die Footura-Spielerinnen Julia Schassberger, Rahel Tschopp und Malin Gut, sowie die beiden Stürmerinnen Alisha Lehmann und Géraldine Reuteler, die sich bereits im A-Nationalteam etabliert haben. Aber auch auf den Aussenpositionen haben wir viel Dampf und somit gibt es keine Position, die wir nicht optimal besetzen können.

Géraldine Reuteler, die im Sommer zum deutschen Spitzenklub FFC Frankfurt wechselt, gilt als Ausnahmetalent. Was zeichnet sie aus?

Sie ist unglaublich komplett: sehr dynamisch, aber auch technisch und taktisch schon sehr weit. Sie ist Goalgetterin, aber auch Vorbereiterin und Antreiberin. Und sie hat die nötige Portion Frechheit, um das Unerwartete zu tun. Dadurch gehört sie zu den seltenen Spielerinnen, die regelmässig einen Match entscheiden können. Sie wird eine grosse internationale Karriere machen - ohne Zweifel.

Als Teamleaderin ist der Druck auf sie gross. Vielleicht zu gross?

Da mache ich mir keine Sorgen. Trotz Ihres Alters hat sie schon viel Erfahrung. Sie nahm bereits vor zwei Jahren als 17-Jährige bei der U19-EM teil und hat dort wichtige Tore geschossen. Auch im A-Nationalteam ging sie locker mit dem Druck um und erzielte bereits im zweiten Länderspiel zwei Tore. Zudem ist sie nicht die alleinige Teamleaderin, denn die vorhin erwähnten Spielerinnen tragen alle Verantwortung und sind wichtige Puzzleteile dieses Teams.

Sind Sie beunruhigt, dass die EM-Vorbereitung resultatmässig harzig verlief?

Keineswegs. Reuteler und Lehmann waren mit der A-Mannschaft unterwegs und wir hatten zeitweise zehn Verletzte, darunter einige Leistungsträgerinnen. Zum Glück sieht es so aus, als wären alle bis Turnierbeginn wieder auf den Beinen. Ich möchte aber betonen, dass ich leistungsmässig mit der Vorbereitung zufrieden bin. Die Entwicklung stimmt: Jene, die gesund waren, haben sich kontinuierlich entwickelt und gesteigert.

Sie sind auch ausgebildete Fitnesstrainerin: Wird Ihr Team am fittesten sein bei der EM?

Tatsächlich arbeiten wir seit Jahren hart an der physischen Verfassung. Die meisten Spielerinnen sind im Footura-Programm für angehende A-Nationalspierinnen und erhalten individuelle Trainingsprogramme, die wir zusammen mit den Vereinen monitoren. Unsere Topspielerinnen sind physisch auf einem unglaublichen Niveau und werden sehr gut vorbereitet sein. Bestes Beispiel ist Alisha Lehmann: Sie hat Explosivitätswerte von höchstem internationalem Niveau.

Geben Sie dem Team für das Turnier Verhaltensregeln mit, wie das Jogi Löw bei der deutschen Nationalmannschaft tut?

Die Spielerinnen sind fast alle 18 und so behandle ich sie auch. Als verantwortungsbewusste, junge Erwachsene, die wissen, was sich im Team gehört. Stört mich etwas, dann sag ich das der Betreffenden direkt und räume das Problem aus dem Weg. Einen EM-Knigge brauchen wir nicht. Vielleicht sind Frauen diesbezüglich ein wenig anders.

Sind die Spielerinnen eigentlich auch so Playstation-Süchtig wie die Jungs?

Ich sehe sie sehr wenig gamen. Viele lernen oft für die Schule, da sie aufgrund der häufigen Absenzen den Stoff aufarbeiten müssen. Und sie haben andere Hobbies, lesen gerne Bücher. Einige machen sehr gerne Musik und bringen Instrumente mit, andere fahren in der Freizeit mit dem Longboard. Ausserdem gehen wir sehr gerne auswärts Essen. Alle mögen ein gutes Stück Fleisch und wir versuchen regelmässig, den kulinarischen Genüssen zu frönen.

Beim Amtsantritt sagten Sie: "Ich will in den nächsten drei Jahren bis zur Heim-EM 2018 Europameister werden".

Dazu stehe ich. Ich bin überzeugt, gute Spielerinnen im Kader zu haben, mit denen wir zusammen unsere Spielidee entwickeln und zugleich auf allen Stufen kompetitiv sein können. Wir müssen immer vom Maximum ausgehen, das sage ich auch dem Team. Es ist doch völlig klar, dass wir ein Turnier gewinnen möchten, wenn wir daran teilnehmen. Deshalb sind wir Sportlerinnen. Und wer etwas anderes behauptet, sagt nicht die Wahrheit. Nun sind wir dabei unsere Zieletappen so zu portionieren, dass wir mit kleinen Schritten unseren Traum Realität werden lassen.

Drei Gründe, warum die Schweizerinnen Europameister werden?

Erstens braucht man dazu sehr gute Spielerinnen und die haben wir. Zweitens braucht es eine gute Stimmung im Staff und im Team, auch das passt bei uns. Und drittens haben wir eine ganz klare taktische Idee. Wir haben für alle Eventualitäten einen Plan. Uns wird an dieser EM nichts überraschen. Das alles wird uns sehr weit bringen.

Kann Ihr Team mit dem Erwartungsdruck bei Heim-EM umgehen?

Natürlich thematisieren wir das mit den Spielerinnen und wir beziehen dabei auch das familiäre Umfeld mit ein. Wir sehen dies nicht als Druck, viel mehr nehmen wir das Vertrauen und die Unterstützung unserer Familien und Freunden als positive Energie mit auf den Platz. Ich bin überzeugt, dass das Heimpublikum für uns ein Vorteil ist, Wir werden 11 plus 1 spielen.

Warum lohnt sich für die Fans ein Stadion-Besuch bei der Heim-EM?

Weil hier wahre Fussball-Leidenschaft zelebriert wird, wo nicht das Geld, sondern alleine die Liebe zum Spiel im Zentrum steht. Weil attraktiver Fussball auf höchstem technischem Niveau gezeigt wird und einige der grössten Talente Europas zu bestaunen sind, die schon bald den Frauenfussball prägen werden. Und, weil bei uns eine ganz besondere, familiäre Ambiance herrscht. Das sollte man sich unbedingt anschauen und davon begeistern lassen.

Wie lautet Ihr wichtigster Rat an junge Mädchen, die davon Träumen, Fussballerin zu werden?

Ich bin als Strassenfussballerin aufgewachsen, als Pausenplatzkind. Man geht einfach raus, weil man fürs Leben gerne "tschuttet". Diese Leidenschaft darf man nie verlieren. Selbst wenn man Mitte Dreissig ist wie ich und hunderte von Spielen bestritten hat. Am Allerwichtigsten ist es, täglich auf den Platz zu kommen und dabei tiefe Freude und Dankbarkeit für das Spiel zu empfinden. Natürlich braucht es auch ein gewisses Talent und man muss für den Fussball vieles in Kauf nehmen und auf anderes verzichten. Nur wenn Du auch Tiefen durchstehst, lernst Du den Wert der Höhen zu schätzen. Es ist eine Lebensschule mit allen Facetten, die unsere Persönlichkeit prägt und nie zu Ende ist. Aber die Freude an der Sache - das ist das Wichtigste.