Angelo Schirinzi
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Angelo Schirinzi: “Alles Verrückte”

Erfolg für die Sandgenossen: Das Schweizer Beach Soccer Nationalteam hat sich für die WM 2017 qualifiziert. Ein Gespräch mit Nationaltrainer Angelo Schirinzi über die erstaunliche Entwicklung dieses Sports, wahre Leidenschaft und die Philosophie seines Teams. (Teil 1)

Interview: Michael Krobath

Angelo Schirinzi, herzliche Gratulation: Dank Platz 2 beim europäischen Qualifikationsturnier fährt die Schweiz an die WM 2017. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Keineswegs. Das war ein hartes Stück Arbeit. Von den 28 Nationen qualifizierten sich nur die vier Besten. Da kann immer etwas schief gehen, wie das Beispiel Russland zeigt: Der zweifache Weltmeister hat die Qualifikation verpasst. 

Profitierte die Schweiz von Losglück?
Als Nummer 6 der Welt waren wir in der ersten Gruppenphase gesetzt und bekamen es mit relativ leichten Gegnern zu tun. Aber die zweite Gruppenphase hatte es in sich. Nach den Siegen gegen die aufstrebenden Türkei und Aserbeidschan kam es zum entscheidende Spiel gegen Spanien. Wir erwischten einen sehr guten Tag und siegten gegen die Nummer 9 der Welt überraschend deutlich mit 8:3.

Im Final wurde die Schweiz ihrer Favoritenrolle nicht gerecht und unterlag den Polen 3:6. Haben die Nerven versagt?
Daran lag es nicht. Wir waren nach dem fantastischen Halbfinal-Sieg gegen Portugal – die aktuelle Nummer 1 der Welt – einfach ziemlich platt. Kam hinzu, dass uns im Final aufgrund von Verletzungen und Sperren drei Spieler fehlten. Trotzdem hätten wir das Spiel gewinnen müssen. Eine ärgerliche Niederlage.

Die Vorherrschaft von Brasilien - dem Mutterland des Beach Soccers - wurde 2011 mit dem WM-Titel durch Russland beendet. Wer dominiert heute den Sport?
Ganz klar Europa. Wir haben eine enorme Leistungsdichte mit 6 Nationen in den Topten der Welt. Dazu kommen auch aus Asien mit Japan und Iran sowie den immer starken Südamerikanern weitere hochklassige Teams.

Wie schafft es die Schweiz mit Null-Kilometer Sandküste, im Beach Soccer so gut zu sein?
Indem unser Nationalteam wie ein Klubteam funktioniert und das ganze Jahr über zusammen trainiert. Wir treffen uns viermal wöchentlich in Basel. Und daneben trainiert noch jeder zweimal pro Woche mit seinem Heimklub.

Sind das alles Profis?
Profis gibt es nur in vereinzelten Ländern wie Russland, Brasilien und Portugal. Bei uns hingegen arbeitet jeder. Unser Top-Stürmerduo Dejan Stankovic und Noel Ott sind zu 60 Prozent als kaufmännische Angestellte tätig, alle anderen arbeiten 100 Prozent. Captain Moritz Jäggy ist Anwalt, zudem haben wir Ingenieure, Bauführer, Primarlehrer, Apotheker in unsere Reihen. Daneben haben sie ihr Leben ganz auf Beach Soccer ausgerichtet. Das ist ein immenser Aufwand, der jeder betreibt. Eigentlich ist das Wahnsinn. Das sind allesamt Verrückte - im positiven Sinne.

Warum tut man sich das an?
Die Belohnung ist ein einmaliger Teamspirit. Und man kommt zu unvergesslichen Reisen rund um die Welt. Wir spielen vor mehreren Tausend Zuschauern an den schönsten Stränden in Europa, Südamerika und Asien. Das sind unvergessliche Erlebnisse. Und wir vertreten die offizielle Fussball-Schweiz nun bereits zum vierten Mal an einer FIFA-Weltmeisterschaft. Das macht stolz.

Was sind die Stärken dieses Teams?
Unsere immense Erfahrung. Die Jäggy-Brüder, Stankovic oder Spaccarotella sind schon seit über zehn Jahren dabei. Sie wurden 2005 Europameister, 2009 Vize-Weltmeister und haben unzählige Turniere der World- und Europa-League gewonnen.

Und wo liegen die spielerischen Stärken?
Wir sind physisch stark und taktisch sehr gut geschult. Wir sind sehr innovativ und versuchen, stets neue Wege zu gehen. So haben wir vor zwei Jahren die Rolle des Torhüters neu definiert. Sobald wir in Ballbesitz sind, wird er zum Feldspieler, der sich am Angriffsspiel beteiligt, wodurch wir eine Überzahlsituation kreieren. Heute versuchen uns alle Teams zu kopieren.

60:23 lautete das Schweizer Torverhältnis nach den acht Spielen des Qualifikationsturniers. Drückt sich darin die Spielphilosophie aus?
Absolut. Wir wollen immer konstruktiv nach vorn spielen. Wir versuchen hoch zu stehen, den Ball in unseren Reihen halten und mit schönen Ballstafetten vors gegnerische Tor kommen. Das ist risikobehaftet und gegen die starken Teams kassieren wir noch zu viele Tore. Daran müssen wir arbeiten.

Wird die WM 2017 auf den Bahamas zum Abschiedsturnier dieser so erfolgreichen Generation?
Nein. Beach Soccer kann man locker bis 35, 36 Jahren auf höchstem Niveau spielen. "Mo" Jäggy ist 33 und hat angedeutet, noch zwei Jahre weiterzumachen, Stankovic erst 31. Den Generationenumbruch haben wir letztes Jahr erfolgreich eingeleitet und heute umfasst das Kader bereits ein halbes Dutzend Spieler zwischen 20 und 24.

Hat die Schweiz realistische Chancen auf dem WM-Titel?
vor 15 Jahren träumte ich davon, Europameister zu werden – 2005 ging der Traum in Erfüllung. Vor zehn Jahren träumte ich von einer WM-Teilnahme – auch das ging 2009 erstmals in Erfüllung. Träumen darf man also immer. Aber wir werden sicher nicht mit allzu hohen Erwartungen an die WM reisen. Das bringt bloss unnötigen Druck. Das haben wir aus der Vergangenheit gelernt.