Jugendbarometer 2022: Krieg, Frieden und Geopolitik
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Jugendbarometer 2022: Krieg, Frieden und Geopolitik

Zum ersten Mal seit Erhebungsbeginn sieht eine Mehrheit der jungen Erwachsenen in der Schweiz der eigenen Zukunft nicht mehr zuversichtlich entgegen.

Der Optimismus der Schweizer Jugend sinkt zwar seit 2014 stetig, eine Mehrheit jedoch sah der Zukunft bislang immer noch hoffnungsvoll entgegen. Nun geben 2022 gerade noch 44% der jungen Schweizerinnen und Schweizer an, optimistisch auf die eigene Zukunft zu blicken. Das ergibt das Credit Suisse Jugendbarometer, eine repräsentative Befragung von Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren in der Schweiz, den USA, Brasilien und Singapur.

Fragt man junge Erwachsene nach ihrer Prognose zur Zukunft der Gesellschaft als Ganzes, zeigt das Credit Suisse Jugendbarometer ein düsteres Bild. Nur noch knapp jede fünfte jugendliche Person in der Schweiz beantwortet die Frage nach der Zukunft der Gesellschaft mit «eher zuversichtlich». Damit sind Schweizer Jugendliche im Vergleich mit den USA, Brasilien und Singapur am wenigsten hoffnungsvoll für die Zukunft der Gesellschaft als Ganzes.

Es ist nicht ganz überraschend, dass die Hoffnung der Jugend auf eine bessere Zukunft in den letzten zwei Jahren massgeblich geschmälert wurde. Neben den zunehmend spürbaren Auswirkungen des Klimawandels und der immer noch andauernden Corona-Pandemie kommt nun der Krieg in der Ukraine dazu, und damit eine grosse Unsicherheit über die geopolitischen Kräfteverhältnisse in der Welt. 2022 heisst es Krieg statt Frieden und Demokratie vs. Autokratie. Das widerspiegelt sich auch in den nachdenklich stimmenden Ergebnissen des neuen Credit Suisse Jugendbarometers.

Sinkendes Vertrauen in die Demokratie

57% der befragten Schweizer Jugendlichen sind der Ansicht, dass es gut um die eigene Demokratie steht. Weiter sind sie der Meinung, dass die Schweizer Demokratie während der Corona-Pandemie krisenfest war. In dieser Hinsicht hebt sich die Schweiz deutlich von anderen befragten Ländern ab. Am stärksten ist der Kontrast zu Brasilien, wo 83% der Jugendlichen der Ansicht sind, die eigene Demokratie befinde sich in einer Krise. Korruption und damit einhergehend geringes Vertrauen in die Institutionen und den Rechtsstaat dürften dafür ausschlaggebend sein. Auch in den USA haben die tief gespaltenen Politlager und Ereignisse wie der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 zu einer Demokratiekrise geführt, die junge Menschen stark beschäftigt. Gut die Hälfte der jungen Amerikanerinnen und Amerikaner sieht die eigene Demokratie in der Krise.

Demokratie in der Krise

Während die Schweizer Jugend in Bezug auf die eigene Demokratie noch einigermassen hoffnungsvoll ist, sind die Prognosen für die Demokratie weltweit weitaus weniger positiv. Drei von vier Schweizer Jugendlichen sehen die Demokratie weltweit in einer Krise. Nur in Brasilien sind gleich viele Jugendliche dieser Ansicht. Auch in Singapur und den USA ist weit über die Mehrheit der befragten Jugendlichen der Meinung, dass wir uns in einer weltweiten Demokratiekrise befinden. Dabei fällt auf, dass die Jugendlichen in den USA die eigene Demokratie stärker in Gefahr sehen als die Demokratie weltweit. Auch der Stolz auf das eigene Land ist bei amerikanischen Jugendlichen in den letzten vier Jahren von 70% auf unter 40% gefallen. Demgegenüber sind in der Schweiz ganze 70% der Jugendlichen sehr oder eher stolz auf das eigene Land.

Weiter ist in den USA und Brasilien unter Jugendlichen die Ansicht weit verbreitet, dass Politikerinnen und Politiker nur mit sich selbst beschäftigt sind, statt für das Gemeinwohl Sorge zu tragen.

Die Sehnsucht nach starken Führungspersonen

In der Schweiz betrachten knapp zwei von drei Jugendlichen die Demokratie als einzige, richtige Regierungsform, die ihnen ein gutes Leben ermöglicht. In den USA teilen nur noch 39% diese Ansicht. Überall dort, wo das Vertrauen in die Demokratie angeschlagen ist, sehnen sich grosse Teile der Bevölkerung nach starken Führungsfiguren. In Brasilien sind zwei von drei Jugendlichen der Ansicht, eine starke Führungspersönlichkeit mit konzentrierter Macht wäre gut für das eigene Land, in Singapur knapp 60% und in den USA knapp 50%. Unter den Schweizer Jugendlichen teilt «nur» jede/r vierte diese Ansicht. Die uralte Sehnsucht nach «dem starken Mann», der das Land aus der Krise führt, erlebt gerade unter Jugendlichen ihre Renaissance. 

Aussagen zur Demokratie

Der Krieg in der Ukraine

Europa kommt aus einer relativ langen Friedensperiode. Dieser fragile Frieden wurde am 24. Februar 2022 in seinen Grundfesten erschüttert. Über Nacht herrschte plötzlich Krieg in der Ukraine. Für viele Jugendliche ist dies der erste Krieg, den sie aus nächster Nähe mitbekommen.

Obwohl der Krieg in der Ukraine nur 1700 km entfernt ist, beschäftigt dieser Schweizer Jugendliche vergleichsweise am wenigsten. Knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen in der Schweiz gibt an, sich wenig oder eher wenig mit dem Krieg zu befassen. In den USA, Brasilien und Singapur beschäftigt der Krieg rund zwei Drittel der Jugendlichen.

Weitaus stärker besorgt sind Jugendliche in allen befragten Ländern darüber, dass sich der Krieg in der Ukraine auf weitere Staaten ausweiten könnte. Am wenigsten befürchten Schweizer Jugendliche eine mögliche Ausweitung des Krieges (61%), am grössten ist die Sorge in Brasilien, gefolgt von Singapur und den USA. Vergleichsweise zufrieden ist die Hälfte der Jugendlichen mit der Politik der Schweiz im Ukraine-Krieg. Am wichtigsten ist es Jugendlichen jedoch, Friedensinitiativen von humanitären Organisationen zu unterstützen.

Diejenigen Jugendlichen, die sich nach starken Führungsfiguren sehnen und deren Vertrauen in die Demokratie erschüttert ist, haben auch ein gewisses Verständnis für das Vorgehen Russlands. Selbst in der Schweiz, einem Land mit hohem Vertrauen in die Demokratie, hat jeder vierte Jugendliche zumindest ein gewisses Verständnis für das Vorgehen Russlands in der Ukraine. In Singapur finden ganze 46%, in den USA 44% und in Brasilien 35% der jungen Erwachsenen, man müsse Russland zumindest ein gewisses Verständnis entgegenbringen. Das zeigt: Das geopolitische Kräftemessen zwischen Demokratie und Autokratie hinterlässt seine Spuren auch in den Köpfen der jungen Menschen.