Pandemie nicht mehr alleinige Sorge
Zum zweiten Mal in Folge bezeichnen die Schweizerinnen und Schweizer die Corona-Pandemie als ihre Hauptsorge, doch praktisch im gleichen Atemzug nennen sie nun den Klimawandel und die Altersvorsorge.
Die Corona-Pandemie bleibt in der Schweiz das Gesprächs- und Medienthema Nummer eins. Doch die schnelle Entwicklung geeigneter Impfstoffe hat das Problem in den Augen der Schweizerinnen und Schweizer etwas entschärft. Statt einer Mehrheit (51%) wie im letzten Jahr, zählen nun noch 40 Prozent Corona zu den fünf Hauptsorgen. Trotzdem steht die Pandemie in der Rangliste des Sorgenbarometers weiterhin zuoberst. Sie hat zu einem Gefühl der Verletzlichkeit geführt und ist der wesentliche Faktor einer auch in der Schweiz um sich greifenden Verunsicherung.
Für jeweils 39 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind der Klimawandel (+10 Prozentpunkte, pp) und die Altersvorsorge (+2 pp) ebenfalls Hauptsorgen. An vierter Stelle folgt mit 33 Prozent (+10 pp) das Verhältnis zur EU.
Das dringendste Problem
Das CO2-Gesetz ist zwar am 13. Juni knapp verworfen worden, nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die vorgesehene Klima-Abgabe auf Flugtickets, doch selbst die Gegner haben einen grossen Handlungsbedarf anerkannt. Bei der Frage nach den Hauptsorgen ohne Vorgabe möglicher Antworten liegt der Umweltschutz mit 51 Prozent und riesigem Vorsprung sogar an der Spitze (Altersvorsorge 33%), und für immerhin 18 Prozent ist der Klimawandel das Problem, welches die Schweiz an erster Stelle lösen muss (Altersvorsorge 12%).
Besonders sensibilisiert für den Umweltschutz zeigen sich die Bevölkerungsgruppen mit folgenden Charakteristika: Linke 66%, Einkommen über 9000 Franken 50%, hohe Schulbildung 49%, Junge / hohes Vertrauen in die Politik / Einkommen zwischen 7000 und 9000 Franken je 45%. Demgegenüber sind besonders tiefe Werte bei jenen auszumachen, die sich als Rechtsstehende oder Bewahrende einstufen oder eine tiefe Schulbildung genossen haben (20–21%). Etwas höher liegen die Zahlen bei den Pensionierten (31%) und den Französischsprechenden (32%), während beispielsweise die Frauen (40%) und Männer (38%) nur minim vom Durchschnittswert abweichen.
60 Prozent der Befragten fordern, dass die Schweiz in der Klimapolitik weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt. Gleichzeitig stellen 51 Prozent ernüchtert fest, die aktuelle Klimapolitik sei ein Beispiel dafür, dass die Schweiz keine Lösungen mehr finde. Für genau 50 Prozent gibt es wichtigere Themen als die Klimapolitik, doch fast gleich viele, nämlich 48 Prozent, sind mit einer solchen Aussage nicht einverstanden.
Vorsorgen für das Alter
Die auf den 1. Januar 1948 eingeführte Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist eine bald 75 Jahre andauernde Erfolgsgeschichte, auch wenn aufgrund der deutlich angestiegenen Lebenserwartung immer wieder um die Finanzierung gerungen werden muss. Die 2019 beschlossene jährliche Einlage von zwei Milliarden Franken in die AHV hat zu einer spürbaren Beruhigung (–10 pp) geführt. Doch nun erfolgt bereits wieder eine leichte Korrektur (+2 pp), weil das Problem nur vorübergehend gelöst ist.
Frappant ist in dieser Frage der Unterschied in den beiden grossen Sprachregionen: Während die Altersvorsorge in der Deutschschweiz ein grosses Thema ist (42%), ist dies in der französischsprachigen Schweiz (27%) weitaus weniger der Fall, vielleicht weil hier brennende aktuelle Probleme den Blick in die Zukunft erschweren.
Mit der Altersvorsorge beschäftigen sich vor allem die 40–64-Jährigen (41%), vermutlich wegen der auf sie zukommenden Erhöhung des Rentenalters. Viele Rentnerinnen und Rentner (40%) mögen wohl eine Kürzung der AHV-Leistungen befürchten, auf die sie weit mehr angewiesen sind als die in Bezug auf die AHV sorgloseren Jungen (35%), für welche die zweite und die dritte Säule besser zum Tragen kommen als bei den Seniorinnen und Senioren.
Bei dieser Hauptsorge der älteren Schweizerinnen und Schweizer ist die Solidarität unter den Generationen noch nicht akut gefährdet (Differenz 5 pp). Dies kann man bei der eindeutigen Hauptsorge der Jungen, dem Umweltschutz/Klimawandel, nur bedingt sagen (Differenz 14 pp), vielleicht weil den Senioren die Energieversorgung ein grosses Bedürfnis ist (Differenz 6 pp). Zu den spezifischen Anliegen der Älteren gehören auch das Verhältnis zu den Ausländerinnen und Ausländern (23%, Differenz 5 pp) sowie die Landwirtschaft (10%, Differenz 5 pp). Umgekehrt sind die Gleichstellung (18%, Differenz 7 pp) und die Löhne (14%, Differenz 10 pp) zwei Problemkreise, welche vor allem die Jungen beschäftigen.
Wenig(er) Angst um den Arbeitsplatz
In der ewigen Sorgenrangliste der Schweiz belegt die Arbeitslosigkeit unangefochten den Spitzenplatz, doch in den letzten vier Jahren hat sie ihren Status als Schreckgespenst weitgehend verloren. Nur noch 14 Prozent (–17 pp) erachten die Arbeitslosigkeit als Problem.
Dazu passt, dass 65% der Befragten wie im Vorjahr ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut bezeichnen. In den letzten 25 Jahren sind es nur 2016 (68%) mehr gewesen. Sogar 87 Prozent (+6 pp) gehen davon aus, dass es ihnen 2022 mindestens gleich gut gehen wird.
Überdurchschnittlich hoch ist die Angst vor der Arbeitslosigkeit bei den Französisch- und Italienischsprachigen (21 resp. 29%), zudem bei Personen mit tiefer Schulbildung (22%), ohne Parteibindung (21%), mit einem Einkommen zwischen 3000 und 5000 Franken (19%) sowie bei Mitgliedern und Sympathisanten der SVP (19%). Umgekehrt ist die Arbeitslosigkeit bei den Grünen (4%) und Grünliberalen (5%) kaum ein Thema.
Engagement und Solidarität beachten
Als grösste Gefahr für die schweizerische Identität erachten die Befragten das sinkende freiwillige Engagement (80%), die nachlassende Fähigkeit der Politik, Lösungen zu finden (73%), die zurückgehende Solidarität der Generationen (66%) sowie die Polarisierung (65%) und der Reformstau (64%).
Um die anstehenden politischen Probleme zu lösen, müssen nach Ansicht der Befragten das Parlament mehr Kompromisse suchen (81%), der Bundesrat seine Führungsrolle noch besser wahrnehmen (75%), internationale Lösungen gesucht (71%) und der Wirtschaft mehr Freiraum gewährt (63%) werden. Gleichzeitig ist die Bevölkerung überzeugt, dass die Schweiz unter Druck zusammensteht und Lösungen findet (70%) und viele politische Konflikte im Alltag eigentlich unwichtig sind (64%).