Die neuen Aufsteiger
Einige asiatische Länder wachsen weniger stark als vor ein paar Jahren, vor allem aufgrund der deutlichen Verlangsamung in China. Solange die Handelskanäle offen bleiben und die Regierungen weiterhin auf Stabilität setzen, bleiben die Aussichten gerade auch für die ärmeren Länder positiv.
Asien hat seit dem Zweiten Weltkrieg drei «Wirtschaftswunder» erlebt: zuerst das enorme Wachstum Japans von den frühen 1950er bis in die späten 1980erJahre, dann den Aufstieg der vier Tigerstaaten Hongkong, Korea, Singapur und Taiwan, der von Mitte der 1960er bis Mitte der 1990er Jahre dauerte, und schliesslich den in erster Linie durch China getriebenen Wachstumsschub ab den frühen 2000er Jahren bis etwa 2014. Während südasiatische Länder wie Malaysia und Thailand an den zwei letzten Wachstumsperioden partizipieren konnten, waren es insgesamt die Volkswirtschaften im Norden Asiens, die am stärksten zulegten. Gemessen am Pro-Kopf-BIP haben sie zu Deutschland und den USA – den beiden führenden westlichen Volkswirtschaften – aufgeschlossen und diese teilweise sogar überholt.
Die Schlüsselfrage für die Zukunft ist, ob andere asiatische Länder, einschliesslich China, in der Lage sein werden, einen ähnlichen Kraftakt zu vollbringen, oder ob sie auf dem Niveau geringer und mittlerer Einkommen stehen bleiben. Angesichts der Tatsache, dass einige Volkswirtschaften in der Region zu den ärmeren Schwellenländern gehören (vgl.Abb.), wird sich ihre Aufholphase im besten Falle sehr lange hinziehen. Ausserdem besteht die Hauptsorge darin, dass die Entwicklungsmodelle, welche das vergangene Wachstumswunder Asiens ermöglicht hatten, heute möglicherweise nicht mehr funktionieren.
Quellen: Weltbank; Emissions-Datenbank für die globale atmosphärische Forschung; Internationale Fernmelde-Union; Credit Suisse Global Wealth Databook 2016; Vereinte Nationen
Innerasiatischer Handel als Schlüssel
Einer der wichtigsten Faktoren, die den Wachstumserfolg der «Frühentwickler» in Asien unterstützten, war die Konzentration auf den Export – und dies mit Fokus auf Amerika und Europa: Ab den 1980er Jahren variierte der Anteil der asiatischen Exporte in die USA und die EU zwischen 31 Prozent und 43 Prozent der Gesamtexporte (in USD).
Da das Wirtschaftswachstum in den USA und Europa inzwischen wesentlich geringer ausfällt, können diese Länder nicht mehr als wichtigste Treiber für die weniger entwickelten asiatischen Volkswirtschaften dienen. Auch Lateinamerika und Afrika werden diese Rolle in absehbarer Zukunft voraussichtlich nicht übernehmen, daher ist ein exportgetriebenes Wachstum nur noch innerhalb Asiens möglich. Der Handel zwischen den Schwellenländern Asiens ist in den vergangenen zwei Jahren zwar zurückgegangen, aber sein Anteil an den gesamten Handelsaktivitäten dieser Länder stieg von 22 Prozent im Jahr 1980 auf über 38 Prozent im Jahr 2015. Angesichts der Tatsache, dass China inzwischen 69 Prozent des BIP in Asien (ohne Japan) und 42 Prozent der asiatischen Importe (ohne Japan) bestreitet, ist ein anhaltendes Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung.
Selbst wenn der Handel innerhalb Asiens wieder zunimmt und die Volumen in den kommenden Jahren steigen, scheint es unwahrscheinlich, dass er jemals dieselbe Rolle für den Arbeitsmarkt spielen wird wie in den vergangenen Jahrzehnten. Zum einen findet in den ostasiatischen Ländern eine rasante Überalterung statt, die das Wachstumspotenzial dämpft, und zum anderen wird der Handel voraussichtlich auch in Zukunft vorrangig Ströme von Halbfertigprodukten oder vollständig verarbeiteten Erzeugnissen umfassen – Segmente, in denen die Produktivität rasch zunimmt.
Quellen: Weltbank; Emissions-Datenbank für die globale atmosphärische Forschung; Internationale Fernmelde-Union; Credit Suisse Global Wealth Databook 2016; Vereinte Nationen
Aus diesen Gründen dürften die Beschäftigtenzahlen nicht annähernd auf das Niveau steigen, das die stärker entwickelten Volkswirtschaften in ihren Boomjahren erreicht hatten. Dies bedeutet, dass Dienstleistungen auch in weniger entwickelten Volkswirtschaften eine wesentlich grössere Rolle spielen müssen, wenn der Aufholprozess erfolgreich sein soll. Ob dies tatsächlich möglich sein wird, ist jedoch noch unklar. Immerhin besteht in den urbanen Zentren der meisten ärmeren asiatischen Volkswirtschaften noch viel Raum für eine Ausweitung der physischen Infrastruktur, die so zum Wachstum beitragen und vor allem solche Arbeitskräfte aufnehmen kann, die sonst in der wertschöpfungsarmen Landwirtschaft verbleiben würden.
Hohe Sparquote als Erfolgsrezept?
Im oft zitierten Artikel «The myth of Asia's miracle» argumentierte Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman 1994, dass das schnelle Wachstum mancher asiatischer Länder wie Singapur nur von kurzer Dauer sein würde. Seine Vorhersage schien sich mit dem Ausbruch der Asienkrise nur wenige Jahre später zu bewahrheiten. Und doch erwies sie sich als voreilig, denn das Wachstum zog in Singapur und den anderen Ländern schnell wieder an und blieb bis vor Kurzem auf sehr hohem Niveau.
Quellen: Weltbank; Emissions-Datenbank für die globale atmosphärische Forschung; Internationale Fernmelde-Union; Credit Suisse Global Wealth Databook 2016; Vereinte Nationen
Darüber hinaus stiegen die Spar- und Investitionsquoten nach der Asienkrise an, sodass viele Länder Ersparnisse in Form eines Leistungsbilanzüberschusses erzielten. Die Regierungen trugen wesentlich zu diesen Überschüssen bei, indem sie die Haushaltsdefizite beschränkten. So war Thailand in der Lage, ein Defizit von –6,3 Prozent des BIP im Jahr 1998 in einen Überschuss von 0,25 Prozent des BIP im Jahr 2015 umzuwandeln. Ferner begrenzten die Zentralbanken nach dem Boom und den folgenden Währungskrisen die Inflation. Angesichts des Investitionsbedarfs sowie der Notwendigkeit, die junge Bevölkerung für eine dienstleistungsorientierte Volkswirtschaft auszubilden, scheinen hohe Sparquoten tatsächlich eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Wachstumsstrategie zu sein. Dies ist nicht zuletzt deshalb so, weil die Abhängigkeit von ausländischem Kapital Volkswirtschaften der Gefahr externer Finanzschocks aussetzt. Da Volkswirtschaften sich technologisch weltweit rasant entwickeln, liegt die Zukunft ärmerer asiatischer Länder wohl nicht primär in grossen Industrialisierungsmassnahmen, obwohl in einigen Segmenten der Industrie vorerst komparative Vorteile dank tiefen Lohnkosten entstehen dürften. Entscheidender für das Wachstum dürften Verstädterung, Infrastruktur und eine breite Palette von Dienstleistungsbranchen sein. Investitionen in Humankapital werden folglich immer wichtiger. Ihre Finanzierung erfordert hohe nationale Ersparnisse, die nur generiert werden können, wenn die Regierungen von zu expansiven Geld- oder Fiskalpolitiken absehen. Darüber hinaus werden weiterentwickelte Finanzsysteme in einzelnen Ländern sowie eine stärkere finanzielle Integration zwischen den Ländern benötigt, um grössere und liquidere Kapitalmärkte zu schaffen und so die Finanzierungsquellen und ihre produktive Nutzung besser aufeinander abzustimmen.