Die Zukunft der «blauen Wirtschaft»

John Tobin, globaler Leiter Sustainability, erklärt, weshalb ein neuer Ansatz zur Verwendung der Ressourcen der Ozeane notwendig ist.

Simon Staufer: «Grüne Wirtschaft» ist als Begriff sehr bekannt und auch Anleger zeigen zunehmendes Interesse an Nachhaltigkeitsthemen wie Biodiversität und Klimawandel. Aber was ist die «blaue Wirtschaft»?

John Tobin: Bei der «blauen Wirtschaft» geht es um die Durchführung wirtschaftlicher Aktivitäten, die mit der langfristigen Kapazität von Meeresökosystemen sich selber zu erhalten, vereinbar ist. Damit die Ozeane weiterhin tragfähig und gesund bleiben, müssen wir sicherstellen, dass die Art und Weise, wie wir sie nutzen – für Transport, Tourismus, Rohstoffgewinnung und insbesondere Fischerei –, so nachhaltig wie möglich ist. Wir müssen eine Wirtschaft schaffen, die im selben Sinne «blau» ist, wie eine Wirtschaft an Land «grün» sein kann. Der Ozean wird zu einem neuen Schwerpunkt im Diskurs über Wachstum und nachhaltige Entwicklung, es besteht aber ein grosser Entwicklungsbedarf in diesem Bereich.

Wird sich die blaue Wirtschaft hauptsächlich auf Geschäfte in Küstenregionen konzentrieren oder werden auch Geschäftschancen auf hoher See in Betracht gezogen?

Sicherlich sind beide wichtig. Allerdings erfolgt in Bezug auf die Fischerei die grosse Mehrheit der wirtschaftlichen Aktivitäten in Küstennähe, denn sowohl Menschen, wie auch Häfen sind dort vorzufinden. Ein anderer Grund liegt darin, dass die Biodiversität im Meer zwischen Küste und Kontinentalschelf im Allgemeinen grösser ist und es dort mehr Fische als an anderen Orten gibt. Es existiert aber auch Hochseefischerei und zudem legen Frachtschiffe grosse Distanzen zurück. Die «blaue Wirtschaft» wird auch diese Themen berücksichtigen müssen.

Aktivitäten in internationalen Gewässern stellen auch regulatorische Herausforderungen dar. So gibt es beispielsweise kaum Gesetze gegen Überfischung.

Dieser Bereich sieht sich tatsächlich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Es gibt Abkommen, welche die Fischerei in internationalen Gewässern regeln sollen. Der Lebensraum der meisten Fische ist jedoch in Küstennähe und in diesem Bereich stellt Überfischung ebenfalls ein grosses Problem dar. Es existiert eine spezifische Wachstumsrate für den Fischbestand, die allgemein bekannt ist – in einer unberührten, natürlichen Umgebung wächst der Fischbestand exponentiell an, bis die sogenannte Tragfähigkeit erreicht ist; d. h. bis der Bestand auf sein Maximum angewachsen ist. Wenn die Anzahl der gefangenen Fische gering genug ist, so dass der Bestand niemals unter den Wendepunkt zum exponentiellen Bestandswachstum fällt, bleibt die Fischerei nachhaltig. Leider ist ein Rückgang festzustellen, der weit stärker ausfällt. Und wenn man weiterhin einen grossen Anteil eines bereits sehr kleinen Bestands abfischt, wird sich dieser nie erholen.

Man kann sicherlich festhalten, dass dies schwerwiegende Folgen für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung hat. Wie kann dieses Problem angegangen werden?

Es gibt ziemlich einfache Lösungen, die theoretisch sehr gut funktionieren – die Herausforderung besteht darin, diese in die Praxis umzusetzen. Wenn es uns gelingt, die Überfischung massgebend einzuschränken, können sich diese Bestände erholen und wir werden in ein paar Jahren weitaus mehr Ressourcen haben. Zu diesem Zweck müssen wir wirtschaftliche Anreize schaffen, um der Überfischung entgegenzuwirken. Ein wichtiges Konzept dazu ist rechtebasiertes Fischereimanagement. Dabei soll langfristig nachhaltige Fischerei durch die Vergabe von Rechten an bestimmte Fischereien gefördert und ein Finanzierungsmodell geschaffen werden, das kurzfristige Interessen mit langfristigen Nachhaltigkeitszielen in Einklang bringt. Es steckt ein grosses Potenzial in Naturschutzfinanzierungsaktivitäten, die sowohl finanzielle als auch ökologische Rendite erzeugen und uns helfen, die sogenannte «tragedy of the commons» zu vermeiden.

Sie sagen also, dass es Chancen für Anleger geben könnte, im Vergleich zu herkömmlichen Geschäftsaktivitäten in der «blauen Wirtschaft» deutlich höhere Renditen zu erzielen?

Auf jeden Fall. Ich habe keinen Zweifel daran, dass in der Fischerei ein Schwerpunkt auf langfristigen Erhalt und Nachhaltigkeit mit einer Vielzahl attraktiver Geschäftschancen verbunden ist. Aufstrebende Branchen zeigen das Potenzial neuer Technologien und Ansätze: Aquakultur, die Aufzucht von Wasserorganismen, wird immer produktiver und hilft, das Problem des Rückgangs von Meeresressourcen zu bekämpfen. Der Tourismus ist in vielen Ländern volkswirtschaftlich wichtig, besonders in den Küstenregionen, und der wachsende Ökotourismus-Sektor berücksichtigt das Bedürfnis nach Erhalt und bringt gleichzeitig Renditen ein. Zudem nehmen Anlagen in alternative Energietechnologien zu und die wissenschaftliche Forschung verbessert unser Verständnis dieser komplexen Ökosysteme stetig.

Es wird trotzdem oft gesagt, dass wir weniger über die Tiefsee als über die Oberfläche des Mondes wissen. Wie können wir sicherstellen, dass die erhöhte wirtschaftliche Aktivität auf den Ozeanen trotz des beschränkten Wissens über Meeresökosysteme auf nachhaltige Art stattfindet?

Es stimmt, vieles zu den Ozeanen ist uns unbekannt . Und Kenntnisse über ein Thema helfen dabei, es zu überwachen und zu messen. Je besser wir unsere Ozeane verstehen, desto mehr werden wir sie schätzen. Wir können aber auch nicht warten. Wir wissen mit Sicherheit, dass unsere Ozeane enorme Ressourcen bieten, und dass wir vorsichtig sein müssen, wie wir diese nutzen. Der Fisch als Nahrungsmittel bleibt der weltweit wichtigste Eiweisslieferant. Und unsere Ozeane spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Absorption von Kohlenstoffdioxid und der Regulierung der globalen Temperaturen. Selbst wenn es noch viel gibt, das wir über die komplexen Mechanismen, die diese Ökosysteme steuern, lernen müssen, sind wir uns ihrer Wichtigkeit bewusst.

Sie haben diese Themen auch kürzlich auf dem World Ocean Summit des Economist diskutiert. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen?

Ich hatte die Ehre, bei einer Podiumsdiskussion über die Finanzierung des Übergangs zu einer «blauen Wirtschaft» die Bühne mit Mark Tercek, President und CEO von The Nature Conservancy, Sean Kidney, CEO und Mitbegründer der Climate Bonds Initiative, und Justin Mundy, Direktor der Sustainability Unit des Prince of Wales, zu teilen. Man war sich einig, dass die Finanzierung dieses Übergangs zu einer wirklich «blauen» Wirtschaft ein Schritt ist, der von Politikern, Vertretern von Unternehmen und weiteren Institutionen sehr bald eingeleitet werden muss. Für die Finanzdienstleistungsbranche wird es die zukünftige Herausforderung sein, skalierbare Lösungen und Finanzinstrumente zu entwickeln, die grosse kommerzielle und nachhaltige Projekte finanzieren können.

Wo sehen Sie die «blaue Wirtschaft» im Jahr 2020?

Ich denke, dass es in den kommenden Jahren zu einer starken Entwicklung in diesem Bereich kommen wird. Es gibt einen viel weitreichenderen Diskurs über das Thema und ein erhöhtes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines verbesserten Ansatzes für das Fischereimanagement. Wir müssen die Global Governance verbessern, die Verschmutzung unserer Ozeane bekämpfen und ein Rahmenwerk für nachhaltiges Ressourcenmanagement schaffen. Wenn wir entschieden voranschreiten können, werden sich Chancen eröffnen.