Wohnkosten belasten die Einkommensschwachen
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Wohnkosten belasten die Einkommensschwachen

Wohnkosten sind ein Dauerthema. Dass die Sorge um steigende Mieten aber gerade jetzt mehr Sorgenfalten hervorruft, ist erklärungsbedürftig und lenkt die Diskussion auf den Stellenwert der Wohnung und die unterschiedliche Problemlage je nach Einkommensklasse.

Zum ersten Mal überhaupt figurieren die Wohnkosten unter den Top-Ten-Sorgen der Schweizer Stimmberechtigten auf Rang 8. 17% der Befragten nannten erhöhte Wohnkosten bzw. steigende Mietpreise als eine ihrer fünf Hauptsorgen. Das Resultat widerspiegelt den hohen Stellenwert, den das Thema Wohnen in der Gesellschaft seit je einnimmt. Die Corona-Pandemie hat den Stellenwert der eigenen Wohnung gar auf ein neues Niveau gehoben, da die Haushalte während den Lockdowns sehr viel Zeit zu Hause verbrachten. Der Wohnung dürfte auch in der Welt nach Covid-19 aufgrund des weitverbreiteten Trends zu Homeoffice eine höhere Bedeutung zukommen. Weshalb das Thema der Wohnkosten gerade jetzt verstärkt im Vordergrund steht, wirft aber dennoch Fragen auf, denn die Wohnkosten waren in der Vergangenheit schon deutlich stärker angestiegen als in letzter Zeit.

Was sagen die Daten?

Für die Haushalte, die in den letzten Jahren ihre Wohnung nicht gewechselt haben, sind die Mieten konstant geblieben oder sogar gesunken – sofern die Mieter aufgrund der tieferen Referenzzinssätze ein Senkungsbegehren gestellt haben. Für Haushalte, die umgezogen sind, sprechen die Daten nicht mit einer Stimme. Von den vier zur Verfügung stehenden Zeitreihen, die sowohl die auf den Wohnungsportalen ausgeschriebenen Wohnungsmieten nachverfolgen (Angebotsmieten) als auch die Mieten, die sich aus den neu abgeschlossenen Mietverträgen herauslesen lassen (Abschlussmieten), zeigen zwei einen leichten Anstieg, die beiden anderen einen Rückgang. Im Durchschnitt können wir von einer Seitwärtsbewegung der Mieten über die letzten Jahre ausgehen. Das ist plausibel, da die Leerstände bei den Mietwohnungen seit 2014 stark zugenommen haben und heute schweizweit über 70 000 Mietwohnungen leer stehen. Ein grösseres Problem waren steigende Mieten insbesondere bis etwa 2015, wie alle vier Zeitreihen mit steilen Anstiegen in den Jahren bis 2015 bezeugen. Die Wohnkosten sind erst seit Kurzem eine Antwortoption des Sorgenbarometers, was erklärt, weshalb die Wohnkosten nicht schon damals als eine Hauptsorge genannt wurden.

Spielt auch der schwindende Traum von Wohneigentum eine Rolle?

Verantwortlich für die Sorgen über hohe Wohnkosten könnten auch die davon galoppierenden Eigentumspreise sein. Im Zuge anhaltender Tiefstzinsen und wachsender Knappheit, weil zu wenig Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen gebaut werden, wachsen die Preise von Wohneigentum wieder beschleunigt. Da zusätzlich die Regulierung des Hypothekarmarktes höhere finanzielle Anforderungen an potenzielle Kreditnehmer stellt, schaffen nur noch wenige Haushalte den Einstieg ins Eigentum. Das ist für viele kaufwillige Haushalte frustrierend und Anlass zur Sorge, zumal Wohneigentum mit Blick auf die Kosten gegenwärtig die klar günstigere Wohnform ist.

Hohe Zahlungsbereitschaft fürs Wohnen

Setzen wir nochmals bei den Mieten an. Dass Wohnungsmieten auch in Zeiten hoher Leerstände nicht markant sinken, hat letztlich mit unserer Zahlungsbereitschaft zu tun. Wohnen ist uns wichtig. Mit wachsendem Wohlstand bzw. Einkommen sind wir bereit, mehr für das Wohnen auszugeben. Der Anteil der Wohnkosten liegt in der Schweiz daher seit über 70 Jahren konstant zwischen 14% und 18% unseres Haushaltsbudgets, obwohl die Einkommen in dieser Zeit stark gestiegen sind. Verdienen wir mehr, leisten wir uns bessere und grössere Wohnungen. Ein wichtiger Faktor ist zudem die knappe Verfügbarkeit von Boden, sodass die Bodenpreise kontinuierlich ansteigen, solange die Schweiz wächst und prosperiert. Konsequenterweise bewegen sich die Wohnungsmieten annähernd proportional zur Veränderung der Einkommen. Das war auch in den letzten zehn Jahren der Fall, in denen die Nominallöhne im Durchschnitt pro Jahr um 0,70% angestiegen sind. Ein ähnlicher jährlicher Anstieg von 0,71% resultiert, wenn wir aus den oben erwähnten vier Mietpreisreihen einen Durchschnitt bilden.

Ein Problem der Grosszentren

Obige Überlegungen blenden jedoch aus, dass weder die Mieten noch die Einkommen überall gleichmässig ansteigen. Insbesondere in den Grosszentren, auf die sich im Zuge des Reurbanisierungstrends ein grosser Teil der Nachfrage konzentriert hat und wo folglich auch die Leerstände deutlich geringer sind, haben die Mietpreise in den letzten Jahren stärker zugelegt.

Für städtische Mieter sind die Wohnkosten daher ein grösseres Thema. Kommt hinzu, dass in den meisten Städten die Verdichtung nur schwierig umzusetzen ist und viel zu wenig Wohnraum gebaut wird. Wohnungsknappheit lässt sich letztlich nur über eine Ausweitung des Angebots zur Zufriedenheit von allen lösen. Ein Grundsatz, den die städtische Politik oftmals nicht beherzt und dagegen lieber auf Rationierung setzt. Nur wenige können sich dann vergünstigte Wohnungen oder eine Genossenschaftswohnung ergattern, während die anderen knappen und daher teuren Mietwohnungen ausgesetzt sind.

Mietpreisbelastung vor allem für die untere Einkommensschicht problematisch

Problematisch sind die Wohnkosten vor allem für das unterste Einkommensfünftel der Haushalte. Denn während die Haushalte in der Schweiz für die Wohnkosten gegenwärtig im Schnitt 14,7% ihres Haushaltsbudgets aufwenden müssen, liegt dieser Anteil bei den Mieterhaushalten, die zum untersten Einkommensfünftel zählen, bei 36,2%. Damit wird die Regel, dass zu Wohnzwecken nicht mehr als ein Drittel des Einkommens aufgewendet werden sollte, verletzt. Die Situation hat sich dabei für das unterste Einkommensfünftel in den letzten 20 Jahren laufend verschärft, wohingegen für die übrigen Mieter die Belastungen gesunken sind. Bei den Miethaushalten mit sehr geringen Einkommen müsste demnach die Politik ansetzen und gezielt solche Haushalte finanziell unterstützen, anstatt generell Wohnungen zu vergünstigen.